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  • Lu.topia

136 Beiträge seit 21.04.2024

Re: Nationalzeitung, GG Art. 5 & autoritäre Exekutive/ Re: Meine Frage...

Mundo schrieb am 21.07.2024 18:58:

Dass die Staatsanwälte der Exekutive unterstehen und ihr weisungsgebunden sind, ist vollkommen korrekt und legitim, es sind ja eben die Anwälte des Staates.

Nunja, fast alle europäischen Staaten sehen das anders. So ist Deutschland eine Ausnahme in der EU, in der wegen der fehlenden Unabhängigkeit der Staatsanwälte von der Exekutive deren Haftbefehle in den anderen Staaten erstmal nicht gelten, inzwischen behelfsweise per zusätzlicher Richterunterschrift gelöst.

Es scheint eher so fifty-fifty zu sein als "fast alle europäischen Staaten".

Außerdem kann der deutsche Staatsanwalt einen Haftbefehl allenfalls beantragen, erlassen wird dieser aber immer noch von einem Richter. Die "Richterunterschrift" ist also nicht behelfsweise, sondern zwingend nötig, sonst existiert gar kein Haftbefehl, den man an die Strafverfolgungsbehörden anderer Staaten weiterreichen könnte. Das war auch schon vor 30 Jahren so, als ich meine Ausbildung zur Anwaltsgehilfin anfing und solche Feinheiten lernen musste, und hat sich seither nicht geändert, ich hab extra nochmal nachgeguckt. :D

Anderes Problem: Nur partielle Anwendung des Strafrechts, z.B. Merkmal "öffentliches Interesse" - hier ist über die Weisungsgebundenheit an die Exekutive der Willkür Tür und Tor geöffnet. Wären die Staatsanwaltschaften unabhängig, würden sie sich v.a. an den Gesetzen und Rechtsprechung orientieren. So werden "Feinde" verurteilt, "Freunde" gar nicht erst angeklagt. Leider nicht nur Theorie.

Wenn der Strafanzeigende zugleich auch der "Verletzte", also der von der angezeigten Straftat Betroffene ist, kann er sich des Ermittlungs- oder Klageerzwingungsverfahrens bedienen, um einer unwilligen Staatsanwaltschaft Beine zu machen:

https://www.strafverteidiger-hamburg.com/strafverfahren/ermittlungsverfahren/klageerzwingungsverfahren/

Und bei Vergehen, welche die Staatsanwaltschaft "mangels öffentlichem Interesse" ablehnt, bleibt dem Anzeigenden noch der zivilrechtliche Klageweg, also z.B. eine Klage vor einem anderen als dem Strafgericht z.B. auf Schadenersatz oder Schmerzensgeld, Unterlassung oder Feststellung, Anträge auf Einstweilige Verfügungen der Anordnungen usw. usf., die ihm sowieso und unabhängig von einer Strafanzeige offen stehen.

Das deutsche Strafrecht ist halt kein bürgerliches Vergeltungsrecht, sondern das Recht, mittels dem der Staat seine Bürger in erster Linie dazu anhalten will, sich an ganz bestimmte, eben in den Strafgesetzen festgelegte und mit Strafen bewehrte Regeln zu halten, um die Gesellschaft und sich selbst zu schützen.

In diesem Sinne hätte also tatsächlich das Strafrecht das erste Mittel der Wahl des BMI für das Vorgehen gegen den unliebsamen Medienverlag bzw. Autoren mit den unliebsamen Veröffentlichungen sein müssen. Es gibt da den einen oder anderen Paragraphen her. Aber dann hätte natürlich trotz braver Staatsanwaltschaft noch so ein nerviger unabhängiger Richter drauf geguckt und das Ansinnen nach dem Gesetz beurteilt und nicht nach dem Gutdünken der Faeser.

Für ein Verbot nach Vereinsrecht ist ausschließlich das BMI befugt und genau deshalb hat die Faeser auch diesen Weg gewählt. Allerdings hat sie sich damit auch in allerschönster Öffentlichkeit so richtig nackig gemacht. :)

Rechtswissenschaftler sind sich denn auch ziemlich einig, dass das BMI da sehr offensichtlich seine Kompetenzen ganz gehörig und ziemlich rechtswidrig überschritten hat:

https://verfassungsblog.de/compact-verbot/

Vor dem Hintergrund der jeweils primären Schutzrichtung von Vereins- und Presserecht sollte dabei maßgeblich sein, worauf das Verbot in erster Linie abzielt. Ist dies die Vereinigung, die neben anderen gegen die Verfassung gerichteten Tätigkeiten auch der Publikation von gegen die Verfassung gerichteten Inhalte nachgeht, besteht ein näherer Sachzusammenhang mit dem Vereinsrecht. Das Gleiche gilt in Konstellationen wie den erwähnten PKK-Verlagsfällen, in denen sich der Verlag in eine verbotene oder verbotsfähige Organisation eingliedert (siehe zuletzt BVerwG NVwZ 2023, 423). Hier ist das (mittelbare) Verbot des Presseerzeugnisses – um ein Wort von Christoph Gusy im Verfassungsblog aufzugreifen – nur ein „Annex“ des Vereinsverbotes. Ist eigentliches Ziel dagegen ein bestimmtes Presseerzeugnis, deren dahinterstehende Gruppierung nur als „Mittel zum Zweck“ verboten wird, ist das Presserecht vorrangig. Dabei ist die Bedeutung, die die Inhalte des Presseerzeugnisses für die Begründung des Verbotes haben, für die Abgrenzung ein wichtiges Indiz (der Vorschlag des GFF-amicus-curiae-Briefs (S. 13), Verbote, die schwerpunktmäßig mit Medieninhalten begründet werden, dem Medienrecht zuzuordnen, läuft deshalb auf ein ähnliches Ergebnis hinaus). Aber auch sonstige Umstände wie etwa die Darstellung des Verbotes in der Öffentlichkeit sind berücksichtigungsfähig. Eine Aussage wie Faesers Satz in ihrer Videobotschaft auf X „Ich habe heute das rechtsextremistische Compact-Magazin verboten“ deutet daher stark in Richtung Presserecht.

[...]

Auf dieser Grundlage war das Vereinsgesetz auf das Compact-Verbot, das von Faeser in der Öffentlichkeit ausschließlich und in der amtlichen Begründung wohl jedenfalls wesentlich mit Inhalten des Magazins begründet wurde, schon nicht anwendbar. Zwar ist richtig, dass auf diese Weise reine Presseorganisationen, die außer dem Publizieren keine weiteren Aktivitäten entfalten, gegenüber anderen Vereinen privilegiert werden. Eben dies ist aber Folge der insoweit vorrangigen und eben besonderen Regeln unterliegenden Pressefreiheit, insbesondere der Entscheidung für eine selbstregulative statt einer staatlichen Aufsicht über die Presse. Eben dies macht den Fall des Printmagazins Compact noch heikler als den des Telemediums linksunten.indymedia, für den (wie auch für den Compact-Youtube-Kanal) wie beim Rundfunk immerhin noch die heute im Medienstaatsvertrag kodifizierten aufsichtsbehördlichen Befugnisse existierten. Aber auch beim Compact-Magazin hätte der Staat nicht völlig untätig bleiben müssen: Er hätte wegen strafbarer Publikationsbeiträge nach den allgemeinen und presserechtlichen Strafvorschriften sowie den Beschlagnahmenormen der StPO und ggf. der Landespressegesetze vorgehen können (bzw. müssen). Eine weitere Grenze bildet der Straftatbestand der Bildung einer kriminellen Vereinigung (§ 129 StGB).

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