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  • Zahlen helfen

mehr als 1000 Beiträge seit 03.05.2020

Der Kandidat der Herzen

Vieles könnte jetzt auch davon abhängen, inwieweit Flüchtende aus Afghanistan für den Wahlkampf instrumentalisiert werden. Im ungünstigsten Fall verlieren in der heißen Phase Themen wie Soziales, Gesundheit und Klimaschutz an Bedeutung, weil wieder "unkontrollierte Masseneinwanderung" als Schreckensszenario beschworen wird. Die Versuchung dürfte vor allem für die Unionsparteien groß sein.

Wo die Fr Wangerin recht hat, da hat sie einfach recht. Insbesondere die national- und "werte"affine CDU im Osten wird sich dieser Versuchung nicht entziehen können und auch gar nicht wollen. Schließlich kann man im Panikmodus nicht auch noch nachdenken. Man könnte natürlich auch mal beim "Kandidaten der Herzen" Söder nachfragen, wie das damals im bayerischen Landtagswahlkampf 2018 so gelaufen ist und ob sich das ausgezahlt hat. Man wird aber nicht fragen, weil man sowieso weiß, wie übel diese Kalkulation daneben ging.

Und damit sind wir auch beim wirklichen Schuldigen für das drohende Desaster der CxU, nämlich dem Hr Söder. Söder ist ja bekannt dafür, dass er selbst sein schlimmster Feind ist, und in der Corona-Debatte hat er diese alte Erfahrung wieder eindrucksvoll bestätigt. Söder und nur Söder -- Spahn war wenig mehr als sein Sidekick, der irrtümlich und lächerlicherweise annahm, damit könnte er womöglich selbst noch Kanzler werden -- ist das Gesicht, das mit der Corona-Politik identifiziert wird, worauf er ja Tag und Nacht selbst hingewiesen und bestanden hat. An seiner Corona-Politik in Bayern sollten sich alle anderen orientieren, die stand immer nach seinen eigenen Worten -- die Realität sah mitunter durchaus anders aus -- für die brutalstmögliche Bekämpfung von Corona. Auch hier sieht sein Erfolg bei Lichte betrachtet eher mau aus, weil von den Flächenländern Bayern so ziemlich die schlechtesten Ergebnisse überhaupt erzielt hat.

Diese Personalisierung hat ihm auch eine treue Fan-Gemeinde eingebracht, die man auch hier im Forum treffen kann (auch wenn sich immer wieder mal der Verdacht aufdrängt, dass in Wirklichkeit die Social Media Truppe der Jungen Union Bayern an der Arbeit ist) und in 2020 auch Beliebtheitswerte, die sowohl für ihn wie auch generell für Politiker in DE bisher unerreicht waren. Nur fragen sich außerhalb dieser Fan-Gemeinde zunehmend mehr Wähler, was eigentlich an greifbaren Ergebnissen erreicht wurde. Die Übersterblichkeit im vergangenen Winter war sogar etwas höher als in massiven Grippe-Wintern wie etwa 2017/18 (Schweden hat ohne Corona-Maßnahmen das Gleiche erreicht) und so allmählich wird auch eher nicht so zart und sozial Besaiteten klar, welche verheerenden sozialen Auswirkungen und Kosten diese Politik hatte. Die ganz offensichtliche Sinnlosigkeit und fehlende überzeugende Begründung mancher Maßnahmen macht auch dem eher Denkfaulen klar, dass es gar nicht darum ging, Sinnvolles zu tun, sondern ganz einfach darum, irgendetwas zu tun, damit nicht offensichtlich wird, dass es keinen Plan gibt und pure Ratlosigkeit herrscht. Aktionismus in Reinkultur kann ziemlich lange erfolgreich als Plan verkauft werden, aber halt auch nicht unendlich lange.

Und jetzt wird auch allmählich klar, dass die bisherige Lösung für das Corona-Problem, nämlich das Impfen, alles mögliche ist, nur keine Lösung. Geimpfte werden infiziert, stecken auch munter andere an (das CDC spekuliert sogar darüber, ob Geimpfte nicht sogar stärker infektiös sind als nicht Geimpfte), liegen auch im Krankenhaus und sterben. Vom ganzen Narrativ "die Impfung ist unsere Rettung" ist nur noch übrig geblieben, dass Geimpfte angeblich seltener schwer erkranken und sterben. Es sei mal dahin gestellt, ob diese Behauptung überhaupt korrekt ist (zum statistisch sauberen Nachweis bräuchte man nämlich eine mehr oder weniger vollständige Welle, die durch eine Population mit vielen Geimpften durch gelaufen ist, und diese Population gibt es bisher nicht), aber diese Behauptung ist halt auch nicht das, was dem nervösen Wähler in 2020 versprochen wurde.

Und der etwas angesäuerte Wähler stellt sich verständlicherweise die Frage, wer ihn eigentlich so veräppelt hat. Dabei erinnert er sich primär an den Hr Söder, weil der ja immer so lautsprecherisch in Sachen Corona unterwegs war. Dass der Rest, von der werten Bundeskanzlerin über die Herren Braun, Spahn, Drosten, das RKI, die SPD, die Grünen, die FDP, all die Haus- und Hofvirologen der jeweiligen Sender exakt das Gleiche erzählten -- geschenkt. In Erinnerung bleibt primär Söder und dann die Bundesregierung, in der Summe also die CxU. Dass womöglich die SPD davon profitiert, die keinen Deut besser oder intelligenter war, kann man nur als einen schlechten Witz verstehen, aber das Leben ist nun mal nicht immer gerecht.

Söder scheint dieses Problem allmählich erkannt zu haben, sonst wäre er nicht -- für seine üblichen Verhältnisse -- so kleinlaut und nahezu heimlich von der bisherigen Vergötterung der Inzidenz als allein selig machender Messgröße abgerückt. Wir werden sehen, ob dies den Karren aus dem Dreck ziehen wird. Aber egal, er hat den Schuldigen bereits ausgemacht, nämlich Laschet, der nicht anständig Wahlkampf macht und, wie Söder ja nie vergisst zu erwähnen, auch nie der "Kandidat der Herzen" war. Söder wird das wie bei der Landtagswahl 2018 machen: einen Sündenbock präsentieren (damals -- völlig verdient -- Seehofer, heute Laschet) und erklären, dass alles ganz anders gekommen wäre, wenn man nur auf ihn gehört hätte. Und es ist davon auszugehen, dass er damit auch durchkommen wird, weil die CSU nur die Landtagswahl in Bayern interessiert und sonst nichts.

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