... und hoffe auf ein paar interessierte Leser*innen.
Die Laschet-Scholz-Baerbock-Diskussion ist abwegig und unerheblich. Es geht um Folgendes.
Neben zahlreichen Parteien national-konservativer und nationalistisch-reaktionärer Ausrichtung, die bei Bundestags- und Landtagswahlen seit 1949 keine nennenswert hohen Ergebnisse erzielen konnten und seit der schrittweisen Einführung der 5%-Hürde (5%-Klausel) in Bundestags-, Landtags- und Kommunalwahlen marginalisiert sind, treten immer wieder faschistoide oder faschistische Parteien zu Wahlen an und die AfD hebt das auf ein neues Niveau der Gefahr.
1949 kommt die Deutsche Reichspartei bei der ersten Bundestagswahl (BRD - Westdeutschland) auf 1,8% der Stimmen (5 Sitze). (Wenn nicht anders vermerkt sind hier und im Folgenden mit "Stimmen" die Zweitstimmen gemeint.)
1951 erringt die Sozialistische Reichspartei (SRP) mit 11% der Stimmen bei der Landtagswahl in Niedersachsen und mit 7,7% der Stimmen bei der Bürgerschaftswahl in Bremen ihre größten Erfolge. 1952 wird die SRP vom BVerfG verboten.
1953 erhält eine Partei mit dem Namen Gesamtdeutscher Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (GB/BHE) 5,6 % der Stimmen bei der Bundestagswahl. Ob diese Partei noch als nationalistisch-reaktionär oder sogar nur als national-konservativ bezeichnet werden kann, ist umstritten. Faschistoide Tendenzen bei einem erheblichen Teil der Mitglieder waren aber unverkennbar.
1965 erzielt die 1964 gegründete Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) bei der BW 2% der Stimmen und wird damit auf Anhieb zu der Zeit stärkste "Splitterpartei".
1966/67 zieht die NPD in insgesamt 6 Landtage ein (Hessen, Bayern, Bremen, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen, Schleswig-Holstein).
1968 verzeichnet die NPD ihrer größten Erfolg mit 9,8% der Stimmen bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg.
1969 verpasst die NPD den Einzug in den Bundestag mit 4,3% der Stimmen nur relativ knapp. Drei Jahre später kann sie nur noch 0,6% erringen.
1987 gelangt ein Mitglied der Deutschen Volksunion (DVU) über Bremerhaven in die Bremer Bürgerschaft.
1989 erreichen die Republikaner (REP) 7,5% bei den Abgeordnetenhauswahlen in Berlin.
1990 3,1%
1995 2,6%
1999 2,7%
2001 1,3%
1990 scheitern die Republikaner mit 4,9% knapp bei der LW in Bayern.
1991 erreicht die DVU bei der Bürgerschaftswahl in Bremen 6,2 %.
1995 2,0%
1999 ein Abgeordneter
1992 erzielt die DVU bei der Landtagswahl in Schleswig Holstein 6,3%.
1996 4,3%
1992 ziehen die Republikaner mit 10,9% der Stimmen in den Landtag von BaWü ein.
1996 9,1%
2001 4,4%
2006 2,5%
1997 scheitert die DVU bei der Hamburger Bürgerschaftswahl mit 4,98%.
1998 zieht die DVU mit 12,9% der Stimmen in den Landtag Sachsen-Anhalts ein.
1999 kommt die DVU bei der LW in Brandenburg auf 5,3%.
2004 6,1%
2009 1,1%
2001 kommt die Schill/Offensive auf 19,4% bei den Bürgerschaftswahlen Hamburgs.
2004 0,4%
2004 erzielt die NPD 9,2% der Stimmen bei der Landtagswahl in Sachsen.
2009 5,6%,
2014 4,9%,
2019 0,6%.
2006 holt die NPD 7,3% der Stimmen bei der LW in Mecklenburg-Vorpommern.
2011 6,0%,
2016 3,0%.
2013 gegründet scheitert die Alternative für Deutschland (AfD) im gleichen Jahr nur knapp mit 4,7% bei der Bundestagswahl.
2015 rückt die rechtsliberal eurofeindliche Partei weiter nach rechts, der Vorsitzende Lucke verlässt die Partei und gründet die Allianz für Fortschritt und Aufbruch (ALFA), die ebenso bedeutungslos bleibt wie die Blaue Partei von Frauke Petry, die 2017 als Parteivorsitzende die AfD verlässt.
Ab 2014 zieht die AfD in alle Landesparlamente ein und wird in Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Hamburg und Bremen zum zweiten Mal in den Landtag gewählt. In Ostdeutschland hat die AfD ihre Hochburgen, in Westdeutschland sind die Wahlergebnisse entweder einstellig oder noch relativ deutlich unter 20%. Das beste Ergebnis erzielt die AfD bisher 2019 bei der LW in Sachsen mit 27,5%, das schlechteste 2020 in Hamburg mit 5,3%.
2020 tritt der aus der AfD ausgeschlossene Berliner Abgeordnete Nerstheimer in die NPD ein, sodass die NPD nun einen Sitz im Berliner Abgeordnetenhaus hat.
Der AfD gelingt es bis jetzt, sich als Sammelbecken für alle rechtsnationalistischen, faschistoiden und faschistischen politischen Kräfte auf allen politisch-parlamentarischen Ebenen, also im Bund, in den Bundesländern und den Kommunalparlamenten zu etablieren. Die typischen schnellen Zerfallserscheinungen, wie sie bei der NPD (trotz kurzfristiger Wiederbelebung nach der Jahrtausendwende im Osten Deutschlands), der DVU und den REP zu beobachten war, kann die AfD bisher vermeiden. Außerdem sind auch die Prozentzahlen der Wahlerfolge deutlich höher als bei den bisherigen faschistoiden und faschistischen Parteien in der Geschichte Deutschlands nach 1945. Die AfD liegt, seit sie sich im Parteiensystem festgesetzt hat, bisher im Westen zwischen 5% und 15%, im Osten zwischen ca. 20% und ca. 28%.
Die aktuellen Wahlumfragen aus dem August, die mit aller Vorsicht zu genießen sind, sehen die AfD für die kommende Bundestagswahl bei durchschnittlich 11%. Das wäre eine leichte Abnahme gegenüber den 12,6% bei der Bundestagswahl 2017.
Schaut man sich die durchschnittlichen Umfrageergebnisse der anderen Parteien aus dem August 2021 an, so kann, abgesehen vom immergleichen systemisch bedingt kapitalfreundlichen Politzirkus - unabhängig davon, wie sich Tiefschwarz, Hellgrün, Superhellrot und Tiefgelb zu einer Regierungskoalition zusammenschustern werden - immerhin erwartet werden, dass eine Beteiligung dieses noch jungen und doch so alten, aber stimmenstarken rechten Sammelbeckens an der bürgerlichen Veranstaltung des Regierens noch vermieden werden kann. Das beruhigt enorm, mal abgesehen vom kapitalfreundlichen Politzirkus, in dessen Manege die Grausamkeiten nicht weniger sein werden.
Momentan sieht es nämlich, abgesehen von der ohnehin völlig abwegigen Fokussierung auf die Frage, ob Laschet, Scholz oder Baerbock herumkanzlern dürfen, so aus (durchschnittliche Umfrageergebnisse der Parteien):
CDU........ 24%
SPD........ 21%
Grüne......18%
FDP.........12%
AfD..........11%
Linke....... 7%
Wenn das so bleibt und wenn das so kommt, dann wird's einen herrlichen Farbmix als Regierung geben - man sollte schließlich auch die belustigenden Momente des demokratisch-kapitalistischen Irrwitzes genießen.
Noch amüsanter dürfte es aber sein, wie die Geistesheroen und -heroinen in der Parteispitze der AfD mit Bernd oder auch Björn herumhöckern werden.
Ich wünsche mir, dass sich die AfD nach der Bundestagswahl nachhaltig selbst zerlegt. Die Chancen stehen momentan nicht so schlecht.