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  • Pnyx (1)

mehr als 1000 Beiträge seit 01.07.2017

Fetisch

Wenn auch gewissen Überlegungen des Autors zugestimmt werden kann, leidet der Text doch an einer eigentümlichen theoretischen Blindheit, die den Autor dazu führt, 'die Demokratie' zu fetischisieren, statt die heute real existierenden Verhältnisse in ihrem Kontext zu stellen und wahrzunehmen, dass das, was heute als Demokratie daherkommt, in Wahrheit die bürgerliche Regierungsform darstellt, die z. B. mit der homonymen antiken athenischen Regierungsform nur relativ wenig gemeinsam hat.

Zwar gerät ihm in den Blick, dass die Verhältnisse in der ökonomischen Sphäre alles andere als 'demokratisch' sind und unscharf auch, dass die neoliberale Reradikalisierung des Kapitalismus auf die realgesellschaftliche Verfasstheit in zerstörerischem Sinn ausstrahlt, doch nicht, dass die im Wirtschaftsleben herrschende Diktatur des Kapitals, samt der Idolatrie von Eigentum, dessen Vererbung, der Inwertsetzung auch nicht vermehrbarer Güter wie z. B. Boden konstitutiv für das gesamte bürgerliche Konstrukt ist, und die im bürgerlichen Regierungssystem verankerte Demokratieform immer schon relativert, ja unterminiert, inklusive der in diesem Konstrukt ebenfalls immer schon angelegten Möglichkeit ihrer diktatorischen Entartung.

Der Autor ist eingenordet in dem Sinn, dass er zu wissen glaubt, welche Staaten von ihrer Regierungsform her auf einer Wertskala oben und welche unten zu verorten sind, ja er kann es sich nicht verklemmen, eine Art Ranking zu erstellen, namentlich 'die skandinavischen Staaten' ganz oben zu platzieren. Eine Wertung, die nur aus einer Adlersicht aufrechtzuerhalten ist. Wer näher hinschaut sieht dort ebenso viel gesellschaftliche Dysfunktionalität wie anderswo auch.

Ausgehend von dieser festen Wertung postuliert er eine 'Reform' des Sicherheitsrates, ein wenig originelles, schon jahrzehntealtes Ansinnen, dass unter dem status quo, und glücklicherweise, zum Scheitern verurteilt wird. Den unter den gegebenen geopolitischen Verhältnissen würde jegliche Änderung an dem heutigen Zustand zu einem vermeintlich einwandfrei legitimierten Durchmarsch des Imperiums und seiner zahlreichen Pudelmeute führen und damit erst recht den mühsam aufrechterhaltenen relativen Friedenszustand zerstören. Die auf den Ausgang des letzten Weltkrieges fussende Vetoregelung ist ein, wenn auch schwacher Schutz dagegen. Schwach deshalb, weil immer öfter auf den formalen Legitimierungsbonus verzichtet wird, bzw. dieser mittels wirtschaftskriegerischen Massnahmen, aka Sanktionen, unterlaufen wird.

Dies offensichtlich, weil die Hegemonialmacht einen grossen Teil ihres realen Vorsprungs eingebüsst hat, sich in einem zunehmend maroden Zustand befindet - aktuell aufs Schönste illustriert von den an einer Bananenrepublik gemahnenden Streitereien ums Wahlprozedere, die sich unter anderem an der völlig überschuldeten nationalen Post austoben - und sich in einem immer ausgeprägteren Unilateralismus flüchtet.

Ob zufällig oder nicht, fällt diese Entwicklung zeitlich mit der Endphase des aktuellen grossen kapitalistischen Zyklus zusammen. Wir leben ganz offensichtlich, und davor verschliesst Moegling obstinat die Augen, kurz vor massiven, durch die zunehmenden ökologischen Reibungsverluste noch deutlich verstärkten Erschütterungen der geopolitischen Tektonik.

Eine lineare Fortsetzung langjähriger Entwicklungslinien greift daher diagnostisch eindeutig zu kurz, es ist nicht nur mit Turbulenzen, sondern mit disruptiven Ereignissen zu rechnen, die in ihrer Summe der Macht des Bürgertums ein Ende setzen werden. Ein Blick hinter die Horizontlinie ist noch kaum möglich. Nur eins ist sicher, durch die staatskapitalistische Regierungsform, die man früher den real existierenden Sozialismus nannte, wird sie ganz bestimmt nicht ersetzt werden.

Der Möglichkeitsraum gesellschaftlicher Verfassung ist historisch nicht ausgeschöpft. Er umfasst noch nicht Realisiertes, ja noch nicht Gedachtes. Er könnte allerdings massiv eingeschränkt werden durch den sozialen und in erster Linie ökologischen Kollaps, der durch den Einsatz heutiger Überwaffen mit Sicherheit ausgelöst würde. Dieser muss unter allen Umständen vermieden werden, will die Menschheit nicht kollektiv um Äonen zurückgeworfen unter viel, viel schlechteren Bedingungen nochmals neu starten müssen.

Das Posting wurde vom Benutzer editiert (16.08.2020 17:39).

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