HS1982 schrieb am 15.10.2023 10:36:
wer die Schweiz durch den Klee lobt sollte sich mal mit dem Frauenwahlrecht und der Geschichte darum beschäftigen....
https://de.wikipedia.org/wiki/Frauenstimmrecht_in_der_Schweiz
Das Land hat sich damit erstaunlich schwer getan...
Jein. Das Frauenwahlrecht in der Schweiz war ursprünglich kantonale Angelegenheit, deshalb darf man nicht nur auf Appenzell-Innerrhoden gucken, sondern muss auch schauen, was die anderen Kantone gemacht haben.
Ein Ruhmesblatt ist das immer noch nicht, Waadt/Neuenburg/Genf waren die ersten und waren 1959/60 soweit, damit sind sie zwar nicht die Letzten in Europa, aber später waren nur San Marino, Monaco, Portugal und Liechtenstein.
Dennoch. Das Frauenwahlrecht ist halt nur eine von vielen, vielen Abstimmungen, die es so gab.
In manchen Fällen wurde Blödsinn entschieden, in manchen Fällen sehr Sinnvolles. In mindestens einem Fall haben die SVP-Wähler eine Vorlage der SVP abgeschmettert, nach dem Motto: Wir mögen keine Ausländer in der Schweiz, aber diese Vorlage ist Schikane und wir wollen keine Arschlöcher sein, liebe SVP.
Und man sollte es nicht glauben, aber die SVP-Größen haben trocken geschluckt und ihren Kurs korrigiert. Ein bisschen nur, rechtspopulistische Fremdenfeinde sind sie immer noch, aber sie haben da doch eine Grenze eingezogen.
Mit anderen Worten: So Volksabstimmungen verhindern, dass sich einzelne Parteien immer weiter in extremistische Positionen hineinradikalisieren. Sie sind dann nämlich im Zwiespalt: Einerseits wollen sie ihre Anhänger weiter radikalisieren, um eine stabile Wählerbasis zu haben, andererseits müssen sie allgemein mehrheitsfähige Volksabstimmungen organisieren, weil ihre Basis sie sonst fragt, warum sie nichts tun.
Und natürlich sorgen Volksabstimmungen dafür, dass die Politiker (wieder) anfangen, sich für die Meinungen, Sorgen und Nöte ihrer Wähler interessieren.
Und das ist _viel_ wichtiger als dumm verbockte Einzelentscheidungen - die Politiker einer repräsentativen Demokratie verzapfen im Schnitt nicht weniger Bockmist als die Volksentscheide, aber die Volksentscheide werden auch eher wieder kassiert.
Oh, und es erlaubt den Politikern, von dummen Entscheidungen zurückzurudern.
Der Ablauf ist ungefähr so:
- Politiker meint, etwas sei wichtig
- Politiker überlegt sich eine Regeländerung, die er für gut hält, aber dumm ist.
- Politiker bringt Gesetzesvorschlag ein, der wird akzeptiert. Gruppendenk halt.
- Es bildet sich eine Gegeninitiative, die den Gesetzentwurf ganz verhindert oder (häufiger) eine weniger dumme Regelung enthält.
- Politiker bleibt bei seiner Meinung oder nicht, lass uns den ersten Fall annehmen.
- Initiative kommt durch, Gesetz scheitert also.
- Politiker erklärt, er sei ein guter Demokrat und selbstverständlich würde er den Wählerwillen respektieren.
D.h. der Politiker kann nicht ohne Gesichtsverlust von einer dummen Idee zurücktreten, er kann sich auch noch als guter Demokrat aufführen.
Ich stelle mir das lustig vor, denn die AfD-Initiativen scheitern und die AfD-Größen dazu Stellung nehmen müssen.
Wesentlich dafür ist, dass man zu jeder Initiative auch Gegeninitiativen einreichen kann. Ich denk mir, die ersten AfD-Initiativen wären so krass, dass sofort die Gegenparteien mobilisiert sind und Gegeninitativen organisieren würden, und das würde missbräuchliche Initiativen einfangen, bevor sie ernsthaften Dauerschaden anrichten.
Und das Recht auf Gegeninitiative könnte die AfD ja auch nicht ablehnen. Sie will ja, dass das Volk gehört wird (oder behauptet das jedenfalls), von der Position kommen sie nicht runter.
Die richtig Radikalen in der AfD werden den Tag verfluchen, an dem sie gekriegt haben, was sie wollten, also lasst uns ihnen geben, was sie wollten :-)