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Re: der darwinistische Marx

DJ Holzbank schrieb am 4. Dezember 2012 10:57

...

> Es fällt mir schwer, bei Marx tatsächlich einen "Wettkampf der
> Systeme" herauszulesen. Die vorkapitalistischen Gesellschaften werden
> ja revolutioniert, indem dort zunächst kapitalistische
> Produktionsstätten Einzug halten, und sich nachfolgend Spannungen
> zwischen der alten politischen Sphäre und der veränderten sozialen
> Sphäre aufbauen. Im Grunde können wir das m.E. aktuell in Teilen der
> sogenannten 3. Welt beobachten.

Nun ich schrieb auch nicht "Wettkampf der Systeme", sondern von
"Verdrängung" und von "Gesellschafts- und Produktionsverhältnissen".

Ihre Erwiderung hinsichtlich der Revolutionierung der
vorkapitalistischen Verhältnisse nimmt meines Erachtens nur die eine
Hälfte der Wahrnehmung Marx` wahr. Die der Entwicklung !einer!
Gesellschaft in der Zeit. Es gibt jedoch auch ein Interaktion
verschiedenen entwickelter Gesellschaften. Marx beschreibt kurz die
Auswirkung der Dampfmaschine auf die indischen Textilarbeiter. Deren
gebleichte Gebeine, kann man als Überbleibsel eines
nichtanpassungsfähigen Gesellschafts-/Produktionsverhältnisses
ansehen. Er selbst geht da recht schnell drüber weg - da war etwas
wohl nicht der Rede wert.
Vielleicht denken Sie vor diesem Hintergrund noch einmal darüber nach
nach, was wir I.E. aktuell in Teilen der 3. Welt beobachten. (Mir
fällt gerade auf, dass dies außerordentlich interessant ist, so will
ich`s auch noch mal tun:)

Weiterhin gebe ich zu bedenken, dass Marx sich sehr positiv auf
Darwin bezog, mir ist keine Kritik an der "Entstehung der Arten"
bekannt. Heute sähe das m.E. anders aus, da die  Biologie eine Art
unangreifbares Refugium der Naturgegebenheit der Verhältnisse
geworden ist. Es gilt also aufzuzeigen wo der unterkomplexe Darwin
den Blick verzerrt. Das schmälert ausdrücklich nicht seine
wissenschaftliche Leistung in seiner Zeit.

> "Kampf Jedes gegen Jeden". Hm. Zunächst einmal scheint der Marx ein
> altes Thema des deutschen Idealismus aufzunehmen, nämlich die sog.
> "Entfremdung" der Gesellschaftsmitglieder als Wesenszug von
> (Klassen-)Gesellschaften im Unterschied zu Gemeinschaften. (Beim
> Hölderlin ist das quasi das Lebensthema. Und ich würde denken auch
> beim Marx.)

Ich hätte ohnehin besser "survival of the fittest individual"
schreiben sollen. 
Was Hölderlin betrifft, so klingt da bei mir leider nicht viel an,
ich hoffe, das disqualifiziert mich jetzt nicht. Da ich Ihre Art der
Belehrung mag, belehren Sie mich, bei belieben, bitte gern ;-)

> Die kapitalistische Vergesellschaftung bringt nun spezifische,
> gesellschaftlich konstitutive Formen der gesellschaftlichen
> Entfremdung mit sich, nämlich Beziehungen der Konkurrenz ("Jeder
> gegen Jeden") und die Verdinglichung der grundlegenden sozialen
> Beziehungen, der Arbeitsteilung, die geldvermittelt und
> vertragsvermittelt hergestellt werden.

Hier ist m. E. ein springender Punkt. Die kapitalistische
Gesellschaft erschafft die Konkurrenz in dem Sinne, in welchem wir
den Begriff heute verwenden. In vorkapitalistischen Gesellschaften
wirken jeweils starke Regeln der Konkurenzvermeidung (Zunftzwang,
Markregeln, etc). Die Schlüsse aus der Beobachtung der Natur und die
hierzu passenden Projektionen der Gesellschaft in die Sphäre der
heutigen Biologie waren dann auch andere.

> Im Grunde sind damit schon wichtige Widersprüche angesprochen, (den
> Hauptwiderspruch habe ich mal weggelassen ;) mit denen wir gewohnt
> sind, uns herumzuschlagen, und auch die vielzitierte "Atomisierung"
> der Gesellschaft ist schon in den gesellschaftlichen Grundrissen
> sichtbar.

Nun hat der Marx mehr Wert auf`s Individuum gelegt als ich noch vor
wenigen Wochen, bevor ich auf seine Reaktion/Verarbeitung von Stirner
stieß.

> (Und an jedem dieser Widersprüche setzt eine reaktionäre "Lösung"
> an.)

Und kann es auch, weil es "ihre" Verhältnisse sind. Sie schwimmt in
ihnen wie ein Fisch. Die Bolschewiki veränderten seinerzeit nur die
Wassertemperatur (Einführung einer Planungskomponente), nach kurzer
Irritation sagte der Fisch: "Jetzt fühl ich mich noch besser und leg
erst richtig los." Also Teich trockenlegen!

> Die sozialistische Revolution soll (schrittweise) diese Entfemdung
> aufheben, indem die grundlegenden Beziehungen revolutioniert werden,
> in erster Linie selbstverständlich die Eigentumsverhältnisse.
> Aus einer entfremdeten Gesellschaft soll so ein Verein (!) freier
> Individuen werden, der sich gemeinsame "gesellschaftliche" Ziele
> setzen kann.
> (Allerdings tun sich hier bisher nicht bewältige Probleme auf, die
> [ökonomischen] Interessen der Individuen angemessen zu vermitteln.)

Es ist der Teich oder zugegeben immer noch kryptisch: Es ist die
Prägung der Produktionsmittel auf die Enteignung der Produzenten
durch die Kapitalisten. Ich dachte ich sei schlau, als ich es
herausfand, aber der Alte sah es auch schon aus den Augenwinkeln;
irgendwo bei "Kooperation"ff. erwähnt er es beiläufig.  

> Im Oktober/November 1989 ging's genau darum, wenige Monate später
> schon nicht mehr.

Weil "wir" 1949ff glaubten, es würde genügen die PM zu übernehmen,
waren wir 89 am Ende. Scheiß Darwin ;-)

> Grüsse
> Holzbank

Es ist mir immer wieder ein Vergnügen mit Ihnen

2017cp

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