2017CP schrieb am 4. Dezember 2012 22:31
> DJ Holzbank schrieb am 4. Dezember 2012 10:57
[...]
> Nun ich schrieb auch nicht "Wettkampf der Systeme", sondern von
> "Verdrängung" und von "Gesellschafts- und Produktionsverhältnissen".
>
> Ihre Erwiderung hinsichtlich der Revolutionierung der
> vorkapitalistischen Verhältnisse nimmt meines Erachtens nur die eine
> Hälfte der Wahrnehmung Marx` wahr. Die der Entwicklung !einer!
> Gesellschaft in der Zeit. Es gibt jedoch auch ein Interaktion
> verschiedenen entwickelter Gesellschaften. Marx beschreibt kurz die
> Auswirkung der Dampfmaschine auf die indischen Textilarbeiter. Deren
> gebleichte Gebeine, kann man als Überbleibsel eines
> nichtanpassungsfähigen Gesellschafts-/Produktionsverhältnisses
> ansehen. Er selbst geht da recht schnell drüber weg - da war etwas
> wohl nicht der Rede wert.
> Vielleicht denken Sie vor diesem Hintergrund noch einmal darüber nach
> nach, was wir I.E. aktuell in Teilen der 3. Welt beobachten. (Mir
> fällt gerade auf, dass dies außerordentlich interessant ist, so will
> ich`s auch noch mal tun:)
Da haben Sie schon recht.
Die Dumping-Exporte der EU-Agrarüberschüsse in afrikanische Staaten,
welche die heimischen Produzenten killen, wären ein aktueller Fall.
> Weiterhin gebe ich zu bedenken, dass Marx sich sehr positiv auf
> Darwin bezog, mir ist keine Kritik an der "Entstehung der Arten"
> bekannt. Heute sähe das m.E. anders aus, da die Biologie eine Art
> unangreifbares Refugium der Naturgegebenheit der Verhältnisse
> geworden ist. Es gilt also aufzuzeigen wo der unterkomplexe Darwin
> den Blick verzerrt. Das schmälert ausdrücklich nicht seine
> wissenschaftliche Leistung in seiner Zeit.
Naja, der Darwin war ja selbst schon bei der Formulierung seiner
Theorie (nachweislich) inspiriert von von der britischen ökonomischen
Literatur seiner Zeit. Und seine Leser und Interpreten haben
nachfolgend diese Verwandschaft noch einmal verschärft. "Survival of
the fittest" ist ja z.B. ein Ausdruck von Herbert Spencer, nicht von
Darwin.
"Herbert Spencer first used the phrase – after reading Charles
Darwin's On the Origin of Species – in his Principles of Biology
(1864), in which he drew parallels between his own economic theories
and Darwin's biological ones, writing, "This survival of the fittest,
which I have here sought to express in mechanical terms, is that
which Mr. Darwin has called 'natural selection', or the preservation
of favoured races in the struggle for life."
> http://en.wikipedia.org/wiki/Survival_of_the_fittest
Der "Pferdefuß" dieser Herkunft der Theorie, also wenn Sie so wollen
die erste "Verzerrung", besteht m.E. darin, dass sie, wie ihre
"menschlich"-ökonomischen Vorläufer, in erster Linie dem Paradigma
einer "Ökonomie des Mangels" folgt, bzw. zumindest diesen Anschein
erweckt. (Oder auch populär so interpretiert wird. Bei Darwin selbst
ist das überhaupt nicht so sehr ausgeprägt.)
Anscheinend herrscht also auch in der Natur überall Mangel, und das
Überleben des Einen ist nur auf den toten Knochen des Anderen
möglich.
Tatsächlich hatte aber schon Darwin auf den isolierten
Galapagos-Inseln ganze vier sonst unbekannte Finkenarten gefunden,
die diese spezielle ökologische Nische besetzten.
Welche von diesen Arten, so könnte man fragen, war denn nun der
"Fitteste"?
Als Pflanzenphysiologe im Ruhestand kann ich Ihnen jedenfalls sagen,
dass es _zumindest_ für die autotrophen Organismen eines ergänzenden
Paradigmas bedürfte, einer "Ökonomie des Überschusses" (was
eigentlich ein Oxymoron ist ;-)). Wenn man sich anschaut, was da im
sogenannten Sekundärstoffwechsel der Pflanzen an schwer
verständlicher Überschuss-Produktion abläuft, dann fällt es schwer,
das in den Rahmen einer Mangelökonomie einzuordnen.
Aber nicht nur da. Als ein zentraler evolutionärer Mechanismus
kristallisiert sich auch auf der Ebene des Genoms die
Überschussproduktion heraus. (Und wenn man es recht bedenkt, so kann
es auch kaum anders sein.)
Neue Eigenschaften/Proteine/Gene werden vielfach erworben, nachdem
von den "alten" Genen durch Mutation zunächst mehrere Kopien angelegt
worden sind. Durch den Evolutionsdruck wird eine Kopie konserviert
(hier würden sich Mutationen lethal auswirken), während die andere,
"überflüssige" Kopie zum "Spielzeug der Evolution" werden kann.
Die seit der Jahrtausendwende sich entwickelnde Bioinformatik hat
jedenfalls bereits erstaunliche Ähnlichkeiten funktional sehr
verschiedener Proteine/Gene nachweisen können, die auf die oben
skizzierten Abstammungsverhältnisse hindeuten.
(Und so ließe sich auch der "Genmüll" im Genom gut einordnen. Der
"Genmüll" stellt und stellte stets ein notwendiges Reservoir dar für
mögliche neue Proteine. Quasi ein "Skizzenbuch".)
Die zweite, m.E. weit wichtigere Verzerrung, besteht aber darin, dass
die Evolutionstheorie über den Bereich ihrer eigentlichen Gültigkeit,
über ihren Gegenstandsbereich, ausgedehnt wird, und so aus einer
wiss. Theorie zur Erklärung bestimmter Prozesse eine _Weltanschauung_
gemacht wird.
Das geschieht selbstverständlich außerhalb der Biowissenschaften,
auch wenn es von etlichen Biologen gefördert wird.
Zunächst einmal wird die Evolution, also gemäß Darwin der _Prozess_
der Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl, zu einer
Substanz bzw. einem Subjekt gemacht. Man muss auf die Formulierungen
achten, um das zu sehen. Bei "die Evolution hat dafür gesorgt, dass"
sind noch beide Lesarten, die prozesshafte und die substanzhafte,
möglich. Normalerweise bleibt es aber nicht dabei.
Die eigentliche Ausdehnung aber wird z.B. maßgeblich gefördert durch
Dawkins "Mem-Theorie", die ja die "Entstehung von Gedanken und deren
Kampf" "evolutionär", was immer das hier bedeuten könnte, verstehen
will. Das ist eigentlich klassischer Idealismus in einem neuen,
"wissenschaftlichen" Gewand. Die deutsche Giordano-Bruno-Stiftung
bemüht sich ausdrücklich um die Popularisierung dieser
Weltanschauung. etc. pp.
Das Ganze liegt einfach "in der Luft", nachdem die "Lösung der
sozialen Frage" als Paradigma in die Defensive geraten ist, zumal
dieser "evolutionäre Idealismus" mit dem klassischen Liberalismus
wunderbar harmoniert und sich zudem den Anschein einer revolutionären
Bewegung geben kann.
(Der kann auch das Dach für islamophobe Einstellungen bilden, wie
neuerdings zu beobachten ist. Platte Religionskritik, die Religion
nicht als ein tradiertes Gebilde liest, das anhand von Symbolfiguren
der gesellschaftlichen Verortung diente, Maßstäbe des
einvernehmlichen Zusammenlebens festlegen sollte, auch Hoffnungen
bzw. Kritik am Gegebenen ausdrückte und sich nicht zuletzt auch der
quälenden Frage von Leben und Tod widmete, ist da schon angelegt. Das
alles ist für diese Weltanschauung nichts als "kollektiver Wahn", dem
das stetige und gleichmütige Wirken der "Evolution" entgegenzusetzen
ist.)
Belassen wir es für heute mal dabei. ;)
Danke für Ihre Geduld und Ihre eigenen Ausführungen.
Auf den Hölderlin etc. komme ich vielleicht heute Abend noch mal
zurück.
Grüsse
Holzbank
> DJ Holzbank schrieb am 4. Dezember 2012 10:57
[...]
> Nun ich schrieb auch nicht "Wettkampf der Systeme", sondern von
> "Verdrängung" und von "Gesellschafts- und Produktionsverhältnissen".
>
> Ihre Erwiderung hinsichtlich der Revolutionierung der
> vorkapitalistischen Verhältnisse nimmt meines Erachtens nur die eine
> Hälfte der Wahrnehmung Marx` wahr. Die der Entwicklung !einer!
> Gesellschaft in der Zeit. Es gibt jedoch auch ein Interaktion
> verschiedenen entwickelter Gesellschaften. Marx beschreibt kurz die
> Auswirkung der Dampfmaschine auf die indischen Textilarbeiter. Deren
> gebleichte Gebeine, kann man als Überbleibsel eines
> nichtanpassungsfähigen Gesellschafts-/Produktionsverhältnisses
> ansehen. Er selbst geht da recht schnell drüber weg - da war etwas
> wohl nicht der Rede wert.
> Vielleicht denken Sie vor diesem Hintergrund noch einmal darüber nach
> nach, was wir I.E. aktuell in Teilen der 3. Welt beobachten. (Mir
> fällt gerade auf, dass dies außerordentlich interessant ist, so will
> ich`s auch noch mal tun:)
Da haben Sie schon recht.
Die Dumping-Exporte der EU-Agrarüberschüsse in afrikanische Staaten,
welche die heimischen Produzenten killen, wären ein aktueller Fall.
> Weiterhin gebe ich zu bedenken, dass Marx sich sehr positiv auf
> Darwin bezog, mir ist keine Kritik an der "Entstehung der Arten"
> bekannt. Heute sähe das m.E. anders aus, da die Biologie eine Art
> unangreifbares Refugium der Naturgegebenheit der Verhältnisse
> geworden ist. Es gilt also aufzuzeigen wo der unterkomplexe Darwin
> den Blick verzerrt. Das schmälert ausdrücklich nicht seine
> wissenschaftliche Leistung in seiner Zeit.
Naja, der Darwin war ja selbst schon bei der Formulierung seiner
Theorie (nachweislich) inspiriert von von der britischen ökonomischen
Literatur seiner Zeit. Und seine Leser und Interpreten haben
nachfolgend diese Verwandschaft noch einmal verschärft. "Survival of
the fittest" ist ja z.B. ein Ausdruck von Herbert Spencer, nicht von
Darwin.
"Herbert Spencer first used the phrase – after reading Charles
Darwin's On the Origin of Species – in his Principles of Biology
(1864), in which he drew parallels between his own economic theories
and Darwin's biological ones, writing, "This survival of the fittest,
which I have here sought to express in mechanical terms, is that
which Mr. Darwin has called 'natural selection', or the preservation
of favoured races in the struggle for life."
> http://en.wikipedia.org/wiki/Survival_of_the_fittest
Der "Pferdefuß" dieser Herkunft der Theorie, also wenn Sie so wollen
die erste "Verzerrung", besteht m.E. darin, dass sie, wie ihre
"menschlich"-ökonomischen Vorläufer, in erster Linie dem Paradigma
einer "Ökonomie des Mangels" folgt, bzw. zumindest diesen Anschein
erweckt. (Oder auch populär so interpretiert wird. Bei Darwin selbst
ist das überhaupt nicht so sehr ausgeprägt.)
Anscheinend herrscht also auch in der Natur überall Mangel, und das
Überleben des Einen ist nur auf den toten Knochen des Anderen
möglich.
Tatsächlich hatte aber schon Darwin auf den isolierten
Galapagos-Inseln ganze vier sonst unbekannte Finkenarten gefunden,
die diese spezielle ökologische Nische besetzten.
Welche von diesen Arten, so könnte man fragen, war denn nun der
"Fitteste"?
Als Pflanzenphysiologe im Ruhestand kann ich Ihnen jedenfalls sagen,
dass es _zumindest_ für die autotrophen Organismen eines ergänzenden
Paradigmas bedürfte, einer "Ökonomie des Überschusses" (was
eigentlich ein Oxymoron ist ;-)). Wenn man sich anschaut, was da im
sogenannten Sekundärstoffwechsel der Pflanzen an schwer
verständlicher Überschuss-Produktion abläuft, dann fällt es schwer,
das in den Rahmen einer Mangelökonomie einzuordnen.
Aber nicht nur da. Als ein zentraler evolutionärer Mechanismus
kristallisiert sich auch auf der Ebene des Genoms die
Überschussproduktion heraus. (Und wenn man es recht bedenkt, so kann
es auch kaum anders sein.)
Neue Eigenschaften/Proteine/Gene werden vielfach erworben, nachdem
von den "alten" Genen durch Mutation zunächst mehrere Kopien angelegt
worden sind. Durch den Evolutionsdruck wird eine Kopie konserviert
(hier würden sich Mutationen lethal auswirken), während die andere,
"überflüssige" Kopie zum "Spielzeug der Evolution" werden kann.
Die seit der Jahrtausendwende sich entwickelnde Bioinformatik hat
jedenfalls bereits erstaunliche Ähnlichkeiten funktional sehr
verschiedener Proteine/Gene nachweisen können, die auf die oben
skizzierten Abstammungsverhältnisse hindeuten.
(Und so ließe sich auch der "Genmüll" im Genom gut einordnen. Der
"Genmüll" stellt und stellte stets ein notwendiges Reservoir dar für
mögliche neue Proteine. Quasi ein "Skizzenbuch".)
Die zweite, m.E. weit wichtigere Verzerrung, besteht aber darin, dass
die Evolutionstheorie über den Bereich ihrer eigentlichen Gültigkeit,
über ihren Gegenstandsbereich, ausgedehnt wird, und so aus einer
wiss. Theorie zur Erklärung bestimmter Prozesse eine _Weltanschauung_
gemacht wird.
Das geschieht selbstverständlich außerhalb der Biowissenschaften,
auch wenn es von etlichen Biologen gefördert wird.
Zunächst einmal wird die Evolution, also gemäß Darwin der _Prozess_
der Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl, zu einer
Substanz bzw. einem Subjekt gemacht. Man muss auf die Formulierungen
achten, um das zu sehen. Bei "die Evolution hat dafür gesorgt, dass"
sind noch beide Lesarten, die prozesshafte und die substanzhafte,
möglich. Normalerweise bleibt es aber nicht dabei.
Die eigentliche Ausdehnung aber wird z.B. maßgeblich gefördert durch
Dawkins "Mem-Theorie", die ja die "Entstehung von Gedanken und deren
Kampf" "evolutionär", was immer das hier bedeuten könnte, verstehen
will. Das ist eigentlich klassischer Idealismus in einem neuen,
"wissenschaftlichen" Gewand. Die deutsche Giordano-Bruno-Stiftung
bemüht sich ausdrücklich um die Popularisierung dieser
Weltanschauung. etc. pp.
Das Ganze liegt einfach "in der Luft", nachdem die "Lösung der
sozialen Frage" als Paradigma in die Defensive geraten ist, zumal
dieser "evolutionäre Idealismus" mit dem klassischen Liberalismus
wunderbar harmoniert und sich zudem den Anschein einer revolutionären
Bewegung geben kann.
(Der kann auch das Dach für islamophobe Einstellungen bilden, wie
neuerdings zu beobachten ist. Platte Religionskritik, die Religion
nicht als ein tradiertes Gebilde liest, das anhand von Symbolfiguren
der gesellschaftlichen Verortung diente, Maßstäbe des
einvernehmlichen Zusammenlebens festlegen sollte, auch Hoffnungen
bzw. Kritik am Gegebenen ausdrückte und sich nicht zuletzt auch der
quälenden Frage von Leben und Tod widmete, ist da schon angelegt. Das
alles ist für diese Weltanschauung nichts als "kollektiver Wahn", dem
das stetige und gleichmütige Wirken der "Evolution" entgegenzusetzen
ist.)
Belassen wir es für heute mal dabei. ;)
Danke für Ihre Geduld und Ihre eigenen Ausführungen.
Auf den Hölderlin etc. komme ich vielleicht heute Abend noch mal
zurück.
Grüsse
Holzbank