Dieses Thema kann nicht korrekt behandelt werden, ohne dass man den Begriff der Arbeit klärt. Wenn hier von Arbeit die Rede ist, dann geht es um die Erwerbstätigkeit. Das ist aber eine sehr einseitige Auffassung vom Tätigkeitsbegriff des Menschen. Man muss streng unterscheiden zwischen Erwerbstätigkeit und der freien schöpferischen Tätigkeit. Menschen, die einer Erwerbstätigkeit nachgehen, tun das, damit sie nicht verhungern. Hinter der Erwerbstätigkeit steht auch immer ein Zwang. Die freie schöpferische Tätigkeit ist etwas ganz Anderes: Diese ist auf die Entwicklung der Wesenskräfte des Menschen ausgerichtet; sie gibt dem individuellen Leben überhaupt erst einen Sinn. Große Werke können nur auf der Grundlage freier schöpferischer Tätigkeit entstehen. So hat J. W. von Goethe sicher mehr als 50 Stunden pro Woche in freier schöpferischer Tätigkeit zugebracht, ohne deshalb krank zu werden. An dem Vergleich zwischen Erwerbstätigkeit und freier schöpferischer Tätigkeit ist erkennbar, dass die gegenwärtige Gesellschaft krank und absurd ist, und deshalb überwunden werden muss. Wie lässt sich das begründen? Durch die zunehmende Digitalisierung aller Prozesse in der Gesellschaft (Produktion und Dienstleistungen) kommt zu einer zunehmenden Automatisierung dieser Prozesse, was zur Folge hat, dass die gesellschaftlich notwendige Arbeit (das ist diejenige Arbeit, die notwendig ist, um das Leben einer Gesellschaft zu reproduzieren) vom Umfang her ständig sinkt, während die disponible Lebenszeit, die sozusagen übrigbleibt, ständig wächst. Diese disponible Lebenszeit ist aber genau das Medium, in welchem der Mensch sich frei entfalten kann, d.h. eine sinnerfüllte freie schöpferische Tätigkeit entwickeln kann.
Ferner lässt sich mit Sicherheit ein Konzept entwickeln, so dass einerseits die freie Lebenszeit wächst, gleichzeitig der Verbrauch an materiellen Ressourcen - vor allem im Sinne des Schutzes der Natur – bei vernünftiger Organisation und Planung - begrenzt wird. Man kann den kulturellen Wirkungsgrad einer Gesellschaft daran messen, in welchem Umfang die freie Lebenszeit in Werke der Kultur umgesetzt wird. Der kulturelle Wirkungsgrad der gegenwärtigen Gesellschaft ist rückläufig, diese Epoche wird man einst als Zeit des Kulturzerfalls betrachten. In den Ländern mit hochentwickelter Produktivkraft könnte man heute schon die 4-Stunden-Woche einführen (bezogen auf die gesellschaftlich notwendige Arbeit). So genügen etwa 1.2 % Prozent (mit abnehmender Tendenz) der Bevölkerung (die in der Landwirtschaft tätig sind), um die ganze Bevölkerung in Deutschland zu ernähren. Die gleiche Tendenz sieht man in der Industrieproduktion und im Dienstleistungsbereich. In der neuen Gesellschaft, die notwendigerweise kommen muss, steht die freie schöpferische Tätigkeit des Menschen Mittelpunkt des Lebens. Spätere Generationen (wenn es diese denn geben wird) werden die heutige Zeit als die Epoche des Absurden, des Krankhaften ansehen. Das in die gegenwärtige Gesellschaft Elemente einer primitiven Vorzeit eingebrochen sind, sieht man an dem Waren- und Geldfetisch. Hierzu in link:
https://youtu.be/cI2Oniil5zw?t=2369#Fetisch
Gespräch mit:
Philipp Felsch (Humboldt Universität)
Dr. Patrick Eiden-Offe