Das ist eine schöne Geschichte, die mit "es war einmal" anfängt, mehr aber auch nicht. Die Ukraine hat am 29. März 22 zehn Vorschläge an die russische Seite übermittelt (und veröffentlicht), die die Grundlage für weitere Verhandlungen bilden sollten. Das war noch weit entfernt von einem Abkommen.
Die Basis dieser Vorschläge waren die überraschenden ukrainischen Erfolge bei der Verteidigung. Dies bestärkte die Ukraine in der Zuversicht, auch ohne NATO-Mitgliedschaft ihre Armee so stärken zu können, dass sie alleine ihre Sicherheit garantieren kann.
Eine Reaktion der russischen Seite ist nicht bekannt geworden. Vermutlich kam es dazu nicht mehr. Danach verschlechterte sich das Klima zwischen Russland und der Ukraine innerhalb kurzer Zeit, weil beim Abzug der Russen im Norden flächendeckend unfassbare Kriegsverbrechen öffentlich wurden, die ein Belassen von Ukrainern unter russischer Besatzung als lebensgefährlich für die Betroffenen erscheinen ließ.
Jedenfalls ist die Darstellung falsch, ein fertiges Friedensabkommen sei durch ein "Veto des Westens" (S. Wagenknecht) verhindert worden. Naftali Bennett, dessen Interview über seine Vermittlung zwischen Putin und Selenskyi viel Aufsehen erregte, sah sich deshalb zu einer Klarstellung veranlasst:
"It’s unsure there was any deal to be made. At the time I gave it roughly a 50% chance. Americans felt chances were way lower. Hard to tell who was right."
Ob es irgendeinen Zusammenhang mit dem Johnson Besuch in Kiew gibt, ist reine Spekulation. Richtig ist, dass Johnson Gegner eines Abkommens zu diesem Zeitpunkt war , aber dass es dazu im Westen keine einheitliche Position gab. Weder Selenskyi noch Johnson haben derlei bestätigt und nur sie können wissen, was sie besprochen haben.
Später hat Russland Teile der Ukraine annektiert und damit allen Verhandlungen den Boden entzogen. Jetzt läuft alles darauf hinaus, dass Putin die "Anerkennung der neuen geopolitischen Realitäten" verlangt und für den Fall dass die Ukraine nicht nachgibt mit einem Ausbluten und der völligen Zerstörung droht. Wer gerne möchte, dass auf dieser Basis in Zukunft Politik gemacht wird, der möge sich gerne auf die Seite Putins stellen. Damit wird der Krieg dann wieder zur "Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln", was im Zeitalter von Atomwaffen absehbar in den Abgrund führen wird.
Der Westen hat zwar davon geredet, Russland eine Niederlage zuzufügen, in Wirklichkeit ist er aber vor dieser Möglichkeit zurückgeschreckt. Zu unberechenbar wäre die Reaktion eines in die Ecke gedrängten Putin. Die Unterstützung des Westens ging immer nur darauf hinaus, Putin seine Kriegsziele nicht erreichen zu lassen bzw. den Preis dafür hochzutreiben. Der Westen liefert der Ukraine bei weitem nicht alles, was er liefern könnte, gerade was Waffen für dir Offensive und solche mit langer Reichweite angeht. Dieses Konzept ist bisher auch größtenteils aufgegangen, es verlangt der Ukraine allerdings große Opfer ab. Trotzdem ist der Krieg hochgradig asymmetrisch. Wie anders würde das aussehen, wenn die USA z.B. moderne Kampfjets und die Hälfte ihrer 4000 Tomahawk Marschflugkörper liefern würde? Das würde die Ukraine in die Lage versetzen, z.B. die russische Stromversorgung ähnlich empfindlich zu treffen wie Russland die ukrainische. Russland würde den Vorteil verlieren, seine Rüstungsproduktion völlig ungestört vom Krieg im sicheren Hinterland hochlaufen zu lassen.