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  • Barbarix

mehr als 1000 Beiträge seit 28.07.2010

Meine Kinder gehen auf Privatschulen - ich erklär euch das gerne

Vorweg: Sorry für so viel Text, aber ich muss das einfach los werden.

Aktuell ist ja wieder das schlechte Abschneiden der deutschen Schüler bei PISA das große Gesprächsthema. Ehrlich gesagt, darauf sollte man verzichten.
Das deutsche Schulsystem ist in einer ganz bestimmten Richtung heruntergekommen. Das äußert sich in erster Linie daran, dass es längst nicht mehr um die Kinder geht, sondern nur noch um das System, Unterrichtsausfall, CO2 Neutralität, Inklusion und noch viele andere halbgare Initiativen. Wer dabei auf der Strecke bleibt sind die Kinder.
Nach dem letzten Schuljahr habe ich die Notbremse gezogen und meine Kinder gehen jetzt auf eine Privatschule. Gleiches Schulsystem (also nicht Montessori oder Walldorf), anderer Fokus - ein Fokus auf die Kinder und ich kann kaum fassen, was für 50€ im Monat möglich ist. Hätte ich das geahnt wären die Kinder gar nicht erst auf eine staatliche Schule gegangen. Es sind tatsächlich nur viele kleine Unterschiede, aber die Wirkung ist groß.

Hier nur eine kleine Liste an Unterschieden:
- Zu spät zum Unterricht gekommen: Alte Schule bei 3x Verweis und Strafaufgaben, neue Schule egal
- Hausaufgaben vergessen: Alte Schule 3x Verweis, neue Schule 3x erst mal auf die Leistungen schauen, wenn gut dann egal, wenn schlecht dann Intensivierungsangebot
- 6. Stunde fällt aus: Alte Schule Vertretung ohne Inhalt (geht um die Statistik), neue Schule heimgehen
- Kinder sagen, dass sie die Themen für die Klausur nicht verstanden haben: Alte Schule Klausur findet wie geplant statt, neue Schule Klausur wird um eine Woche verschoben um noch lernen zu können
- Noten in Sport: Alte Schule möchte nur Spitzensportler, daher überwiegend schlechte Noten, neue Schule Benotung angemessen der individuellen sportlichen Leistungsfähigkeit
- Einser-Abitur: Alte Schule möchte möglichst hohe Quote erreichen und sortiert schon in der Unterstufe knallhart aus, neue Schule möchte dass alle das Abitur bestehen
- Blank in der mündlichen Abfrage: Alte Schule 5 oder 6, neue Schule zweite Chance
- Eine Fünf und eine 4,56: Alte Schule kein Vorrücken, neue Schule lässt Gnade vor Recht ergehen (in 20 Jahren interessiert niemand mehr was in der 9. Klasse in Latein war = Bezug zur Realität)
- Zwei Schüler haben eine Unterrichtsbefreiung beantragt weil sie in ihrem Sport einen Kaderlehrgang haben und an dem Tag ist eine Klausur geplant: Alte Schule verweigert die Unterrichtsbefreiung, neue Schule verlegt die Klausur
- Mündlich eine 5 in Religion: Alte Schule ganz normal, neue Schule undenkbar

Ich könnte die Liste noch lange fortführen. Es sind immer nur Kleinigkeiten die den Unterschied machen. Es ist nicht das Schulsystem, der Lehrplan oder wie digitalisiert die Schule ist. Es ist der Umgang mit den Kindern und ein anderer Fokus, ein Fokus auf Bildung als Gemeinschaft, auf Zufriedenheit. Die alte Schule war eine eiskalte Bildungsfabrik, die ihre "Kundschaft" völlig vergessen hat und sich nur noch mit sich selbst beschäftigt, sich inklusive Schule nennt, CO2 neutral sein möchte (daher nur noch grottige Wandertage), sich digitale Schule schimpft. Bei Problemen wird mit Repressalien und Härte reagiert statt zu sprechen.
Die letzten drei Monate des vergangenen Schuljahres waren der reinste Horror. Die Kinder wollten da nicht mehr hin. Jetzt gehen meine Kinder wieder gerne zur Schule, die in der alten Schule aufgebauten Ängste vor Prüfungen, Referaten, Wandertagen, Projekttagen, Sporttagen, Klassenfahrten etc. sind leider noch präsent, bauen sich aber glücklicherweise langsam ab.

Leider wird immer nur auf die messbaren Dinge geschaut. PISA, Einser-Abiturquote, Jahrgangsstufentests, Übertrittsquote, Durchfallerquote usw. Das Wohlbefinden, die Stimmung an der Schule, der Umgang etc. interessiert leider niemand mehr. "Damals" gabs mit der Rute auf die Finger, heute ist die Schule mehr oder weniger Psychoterror. Eine gute Schule bemisst sich nicht nur an den Noten, sondern auch daran ob die Kinder gerne hin gehen. Und wer gerne zur Schule geht zeigt auch gute Leistungen.

Ich kann nur an die Politik und die sogenannten "Bildungsexperten" appellieren. Bitte seid vernünftig und verlasst eure abgehobenen elitären Professorensphären und kommt zurück in die Realität. Kinder sind keine Statistik und Schulen kein Experimentierfeld!

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