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  • Karl-Katja Krach

528 Beiträge seit 09.07.2019

Warum die persönliche Ansprache als "Rassist"? Reflexartiges Beleidigtsein.

"Bin ich Rassist? Wie weit bin ich Rassist? Ich bin davon überzeugt, dass "Rasse", in sich bereits ein ungültiger Begriff, für mich nie eine nennenswerte Rolle gespielt hat. Ich bewerte Menschen vor allem danach, wie menschlich sie sind. Wie sie sich für andere einsetzen. Wie humorvoll sie sind, wie tolerant, wie kompetent. Und nicht danach, welche Hautfarbe oder Herkunft sie haben. Das nehme ich zumindest an."

"Verhalte ich mich rassistisch, obwohl ich kein Rassist bin?" So hätte die Fragestellung also auch aussehen können.
Der Reflex, jedesmal zu rufen "Ich bin doch gar kein Rassist", wenn ein bestimmtes Verhalten als rassistisch bezeichnet wird, ist Beleidigtsein auf Kommando.

Schließlich können auch gute Menschen schlechte Dinge tun und schlechte Menschen gute Dinge.
Man muss keine moralischen Motive haben, um sich der Moral gemäß zu verhalten. Genauso kann man gegen die Moral verstoßen, ohne die Moral zu verachten.

Männer, die keine Alimente zahlen, obwohl sie es sollten und könnten, müssen Frauen nicht als minderwertig ansehen (dann wären sie Sexisten), sie können sich auch aus Egoismus sexistisch verhalten. Sexistisch ist dieses Verhalten, weil dabei unterstellt wird, es sei die Aufgabe der Frau, sich um die Kinder zu kümmern.

Was den Besuch im Park angeht: Ich habe letztens im Rabet in der Eisenbahnstraße im Leipziger Osten - der nach Medienberichten "gefährlichsten Straße Deutschlands" - den FAU-Stammtisch gesucht. Das ist mitten in der Waffenverbotszone, wo ständig Razzien in Shisha-Bars stattfinden, bei denen dann vielleicht ein paar unverzollte Stangen Zigaretten auftauchen. Ein ehemaliger Arbeitskollege von mir würde da gern mit einer Kalashnikow für Ordnung sorgen, wenn er eine hätte.
Im Park wurde ich von Jugendlichen nach Gras gefragt (ich sehe aus wie "man" sich jemanden vorstellt, der wahrscheinlich Gras hat), mir wurden Drogen angeboten (ich sehe aus wie "man" sich jemanden vorstellt, der vielleicht Drogen braucht) und ich wurde gefragt, was ich denn suche, ob man mir helfen könne, denn ich lief auf der Suche nach dem FAU-Stand ziemlich planlos umher.

Nur, weil in dem Park auch Dealer sind, habe ich keinen Anlass, anzunehmen, dass es sich bei den erstbesten Syrern, Libanesen oder Afghanen um Dealer handeln würde. Weiße Dealer stehen i.d.R. nicht im Park, weil sie sozial integriert sind und ihre Drogen im erweiteten Freundeskreis verkaufen.

Viel wahrscheinlicher werde ich nach Drogen gefragt, als dass mir welche angeboten wird. Das passiert auch viel im linken Connewitz. Auf dem Höhepunkt der Crystal-Welle wurde ich ständig von Drogensüchtigen aus ganz Leipzig nach Crystal gefragt und das ging auch vielen meiner Freunde und Freundinnen so. Nein, nur weil ich linksradikal bin und auch so aussehe, konsumiere ich keine harten Drogen und verkaufe auch keine.
Auch die Polizei war davon überzeugt, dass es in den autonomen Häusern in der Stockartstraße - der nach Spiegel-TV "gefährlichsten Straße Deutschlands" - eine Crystalküche sein müsse. Mehrere Hundertschaften Polizei wurden für eine Razzia mobilisiert, bei der dann auch nur Marihuana und etwas Speed gefunden wurden.

Weil Menschen als "anders" angesehen werden, als nicht zum "wir" gehörig, werden sie ausgeschlossen. Weil sie ausgeschlossen werden, werden sie öfter und härter zur Zielscheibe von Repression und weil diese Repression stattfindet, die "uns" nicht trifft, werden sie als "anders" angesehen.
Diese Struktur ist auch ohne Rassetheorie rassistisch und somit ist Rassismus ein strukturelles Problem. Es kann nicht mit der individualisierenden Schamfrage angegangen werden "Bin ich Rassist?". Der neoliberalen Individualisierung der Verantwortung müssen kollektive Verantwortungsübernahmen gegenübergestellt werden. Deswegen wäre es für alle, die schon Rassismus ablehnen, richtig, zu fragen: "Inwieweit leistet mein Verhalten strukturellem Rassismus einen Vorschub und verhindert die Veränderung von Strukturen, damit Rassismus nicht mehr durch gesellschaftliche Bedingungen entsteht."

Indifferenz ist an dieser Stelle viel öfter das Problem, als die Mitte der Gesellschaft es wahrhaben will. Wie würde diese sich empören, wenn am "antimigrantischen Schutzwall" der Festung Europa jedes Jahr weiße Deutsche zu Abertausenden ersaufen würden? Dann würden "Schleuser" als "Fluchthelfer" mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt werden.
Wenn eine Schwarze schreibt, dass weiße Deutsche in der Mitte der Gesellschaft zu Rassismus erzogen werden, empören sich Menschen wie Dieter Nuhr und jammern, ohne das Buch gelesen zu haben herum, sie seien doch gar keine Rassisten. Am nächsten Wahltag machen sie dann wieder ihr Kreuzchen bei einer der Parteien, die jedes Jahr die weißen deutschen Mauertoten betrauert und Schwarze und PoC im Mittelmeer geplant ersaufen lässt.
Wäre nicht das Mittelmeer, würde wohl an den europäischen Außengrenzen längst der Schießbefehl gelten.

Beim Beispiel Schweden schreibt Wickenhäuser übrigens an der Realität vorbei. Da wurde neben "han" (er) und "hon" (sie) ein drittes Personalpronomen offiziell eingeführt: "hen".

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