mbyn schrieb am 19.10.2018 08:35:
Ich weiß was du meinst, und ich stimme dir im Prinzip zu. Was mich aber immer wieder irritiert ist, dass man im Umfeld der grün-ökologischen Widerstandsbewegten bereit ist, bis zum Äußersten zu gehen, um Bäume, Vögel, Fledermäuse, Kröten oder irgendwelche Käfer vor den Konzernen zu schützen, dass man vor der systematischen Misshandlung und Zerstörung von Menschen in den kapitalistischen Verwertungsanstalten ("Jobcenter") aber relativ unbewegt bleibt.
Die Irritation verstehe ich und es gibt zwei Punkte, die zur Erklärung beitragen. Die sind aber von "grün-ökologisch" unabhängig und betreffen auch die Frage, warum andere Menschen zB so vehement "gegen Ausländer" kämpfen oder gegen den Nachbarn, oder Falschparker aufschreiben.
Erstens:
Die haben alles eines gemeinsam, nämlich, dass sie *gegen* etwas sind. Das bedeutet, eine Instanz soll davon *abgehalten* werden, etwas zu tun: Einwandern, laute Musik, dort parken, den Baum fällen etc. Das Ziel der Kämpfenden ist erreicht, wenn die Handlung *unterlassen* wird. Der Kern ist: "Mach genau das nicht" ist ein total begrenzten Ziel, überschaubar, erreichbar, fassbar. Die Zuwiederhandlung ist eindeutig: Nichtunterlassung bedeutet weiterkämpfen.
Ganz Anders sieht es aus, wenn man *f+r" etwas ist, also zB "für die Abschaffung von Hartz4". Da muss man jemanden nicht etwa abhalten, sondern jemand muss *aktiv* werden. Und das auch noch in der richtigen Weise. Denn mit "Hartz4 weg" ist es ja gar nicht getan, das kann man nicht einfach bloß "unterlassen" und gut ist, man muss mindestens irgendein Gesetz verfassen. Das ist ein viel komplexeres Ziel.
Zweitens:
Alle richten sich gegen einen *konkreten* Gegner: Den Baumfäller, dem man sich in den Weg stellen kann, den Ausländer, den man rauswirft, den Nachbarn den man nie leiden konnte und diesen fetten Typ, der eh immer scheiße parkt. Konkrete Gegner mit Namen und Gesicht. Da *ist* also überhaupt erstmal was zum bekämpfen.
Bei Hartz4 dagegen.....ja, wen bekämpft man da eigentlich? Die Sachbearbeiter? Wenn die weg sind, ist Hartz4 nicht weg, überhaupt ist das nicht an Menschen gebunden, sondern ein abstraktes Konstrukt. Wie bekämpft man denn "das Spiel"?
Also: Während man bei den Bäumen und den anderen Beispielen *gegen* einen *konkreten* Gegner kämpft, der etwas klar definiertes *unterlassen* soll, kämpft man bei Hartz4 *für* etwas gegen einen *abstrakten* Gegner, der etwas noch nicht definiertes *machen* soll.
Und auf solche Ziele kann der Mensch sich ganz schwer fokussieren. Das geht nicht alleine, da brauchts ne riesige Masse an Mitstreitern. Aber gerade der Punkt, dass das Ganze so abstrakt ist, sichert die Macht, die (das ist die Moderne) aus der Struktur kommt und nicht (wie früher) aus starken Einzelpersonen.
Das mal so als Anriss, vielleicht klingt das ja schlüssig für dich :)