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  • Irwisch

mehr als 1000 Beiträge seit 22.03.2005

Artikel über Verfassungsklage gegen Hartz-IV

Danke für den Link zu einem Artikel der Frankfurter Rundschau vom 08.02.2010 über die Verfassungsklage gegen Hartz-IV. Soeben habe ich mir den Artikel vollständig durchgelesen, nicht ohne schon beim ersten Absatz gestutzt zu haben:

Hartz IV vor Gericht - das ist in Deutschland Alltag. Von Anfang an wehrten sich die Menschen nicht nur mit Protesten auf der Straße und in der Wahlkabine gegen die ungeliebte Reform, sondern stürmten auch die Sozialgerichte mit einer beispiellosen Klagewelle.

Daß viele Betroffene auch heute noch gegen Bescheide und Entscheidungen der Jobcenter bei den Sozialgerichten klagen, ist zutreffend. Doch von den Protesten auf der Straße hab ich eigentlich noch nichts gehört oder gelesen. Wann und wo sollen die stattgefunden haben?

Jetzt aber geht es nicht um 10,20 Euro oder den bösen Willen eines Arbeitsvermittlers. Das Bundesverfassungsgericht wird sich mit dem Grundpfeiler von Hartz IV befassen: den Ansprüchen von Kindern und wohl auch Erwachsenen auf Menschenwürde, auf ein Existenzminimum.

Dieses Gerichtsverfahren ging aus wie das Hornberger Schießen: Die Empfehlungen des Bundesverfassungsgerichtes wurden von der Politik weitgehend ignoriert und die Sätze sind noch immer viel zu niedrig, um davon leben zu können. Ohne die größtenteils das Verfallsdatum überscrittenen Nahrungsmittel, die eigentlich im Müll landen sollten, wäre ich wie viele andere auch aufgeschmissen. Viele gehen erst gar nicht hin, weil sie sich schämen, und viele gehen auch aus demselben Grund erst gar nicht zum Jobcenter, weil einem dort regelmäßig das letzte bißchen Würde, das einem noch geblieben ist, zerstört wird.

Damit könnte das Urteil die gewaltigste Sozialreform in der deutschen Nachkriegsgeschichte ins Wanken bringen - und den hoch verschuldeten Staat weitere Milliarden kosten.

Alle Staaten der Welt sind hoch verschuldet, da beißt keine Maus den Faden ab. Die Verschuldung entsteht durch den Zwang, dem alle Staaten unterliegen, das Geld für den Staatshaushalt von privaten Banken zu hohen Zinsen leihen zu müssen, aber auch durch üppige staatliche Verschwendungssucht. Allein mit dem Geld, das für den Militärhaushalt verschwendet wird, könnte den Hunger in der Welt ein für allemal beseitigen. Auch in Deutschland wird gehungert. Ich selbst hungere seit ein paar Tagen unfreiwillig, bis zum Monatsende ist es noch lange hin.

Politisch sitzt die Hinterlassenschaft des sozialdemokratischen Kanzlers Gerhard Schröder ununterbrochen auf der Anklagebank. Armut per Gesetz oder neue Chance für die Hoffnungslosen - dieser Konflikt führte nicht nur die SPD in eine Zerreißprobe und verhalf der Linkspartei zum Aufstieg im Westen.

Wer soll da genau wo auf der Anklagebank sitzen? Ich lese und höre nirgendwo was von gerichtlichen Klagen. Die einzigen, die ständig öffentlich klagen, sind diejenigen, denen es materiell und finanziell sehr sehr gut geht, aber sie jammern darüber, weil sie glauben, es stünde ihnen noch weitaus mehr zu. Von einem relevanten Aufstieg der Linkspartei kann ich ebenfalls nichts erkennen. Die Linke wird nur von wenigen gewählt, dank der täglich präsenten Propaganda in TV und Printmedien.

Auch in der Union geht es bis heute hoch her. Erst fordert der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers mehr soziale Gerechtigkeit für die Hartz-IV-Empfänger. Anschließend erklärt sein hessischer Kollege Roland Koch (beide CDU), die selben Leute müssten härter angepackt werden.

Empörungsmanagement, ein hin und her der Forderungen und Lösungsvorschläge, mal ein wenig milder gestimmt, mal in voller unmenschlicher Härte. Man hat schon gefordert, Frauen sollten sich prostituieren, um dem Staat nicht auf der Tasche zu liegen, und damit nicht genug, gab es bereits Rufe, die Armen sollten ihre Organe verkaufen, damit Wohlhabende länger leben können. Auch der Ruf nach Arbeitslagern wird immer wieder vernommen.

Bei allem Streit ist ein Vorwurf Alt-Kanzler Schröder nicht zu machen: Einen Hehl aus seinen Absichten hat er nie gemacht. Im Februar 1999, kurz nach seinem Amtsantritt, verkündet er: "Wir müssen einen Niedriglohnsektor schaffen, der die Menschen, die jetzt Transfer-Einkommen beziehen, wieder in Arbeit und Brot bringt." Im Januar 2005, Hartz IV war gerade geboren, preist Schröder auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos sein Kind: "Wir haben unseren Arbeitsmarkt liberalisiert. Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt."

Während der damaligen Bundestagswahlkämpfe war davon aber rein gar nichts zu hören oder zu lesen. Solche Dinge hat Schröder vielleicht gesagt, aber nicht öffentlich, das wurde nicht von den Massenmedien breitgetreten.

Den rest dieses schändlichen Artikels der Frankfurter Rundschau erspare ich mir zu kommentieren, den ich möchte nicht riskieren, die wertvollen Nährstoffe, die ich heute zu Abend verspeist habe, wieder rauskotzen zu müssen ... lest selbst, wenn ihr euch das zumuten wollt ...

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