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  • Klaus N

mehr als 1000 Beiträge seit 28.09.2004

Re: Wird nicht klappen

Artur_B schrieb am 01.09.2022 18:48:

Klaus N schrieb am 01.09.2022 16:20:


Und zum wiederholten Male: Rousseff wurde nicht wegen Korruption gestürzt, sondern wegen illegaler Kreditaufnahme (immerhin in Höhe von 1% des BIP) und weil sie die Unterstützung von Kongress und Senat verloren hatte. Diese Anklagepunkte wurden auch nicht fallen gelassen, sondern führten zu der in der Verfassung vorgesehenen Rechtsfolge: Amtsenthebung.

Also da bin ich nicht ganz überzeugt. Mal den Text aus Wikipedia:

Einen Tag später stimmte das Abgeordnetenhaus mit großer Mehrheit für die Einrichtung eines 65-köpfigen Komitees. Es soll ermitteln, ob Rousseff Verstöße bei der Führung der Staatsfinanzen begangen habe, die eine Amtsenthebung rechtfertigen würden.

Da steht nicht, dass da etwas gefunden wurde.

Das war ja auch nur der einer der Schritte im Prozedere. Im wesentlichen lief es so:
0. Bei jedem der folgenden Schritte kann jederzeit der Oberste Gerichtshof angerufen werden, der ggfs. über die Rechtmässigkeit urteilt. Der antwortet in solchen Fällen auch unüblich schnell.
1. Klageerhebung (kann jeder machen, solange die Formvorschriften eingehalten werden). Normalerweise gibt es so 100 bis 200 Impeachment-Anträge gegen den Präsidenten pro Jahr, die meisten mit ziemlich albernen Begründungen.
2. Der "Bundestagspräsident" entscheidet, ob er einen Impeachment-Antrag zur Abstimmung bringt. Da steckt ein Systemfehler drin, weil der Bundestagspräsident auch begründete und erfolgversprechende Anträge abweisen kann).
3. Wenn die Abstimmung erfolgreich war (2/3 Mehrheit erforderlich, wird der von Dir erwähnte Untersuchungsausschuss (Komitee) einberufen. Der erstellt einen Bericht, in dem begründet wird, ob die Sache dem Parlament vorgelegt wird. (Genau genommen, gibt es zwei Komitees, eins im Parlament, eins im Senat).
4. Senat und Parlament müssen jeweils mit 2/3 Mehrheit entscheiden, ob der Prozess geführt werden. Wenn ja, wird die Präsidentin für 180 Tage freigestellt, der Vizepräsident übernimmt temporär ihre Stelle, und der eigentliche Prozess beginnt.
5. Im Prozess hat die Präsidentin alle Rechte des Strafprozesses. Der Prozess wird vom Präsidenten des obersten Gerichtshofs beaufsichtigt und moderiert.
6. Danach wird noch einmal in beiden Kammern (2/3) abgestimmt.

Sorry, das ist jetzt viel zu lang geworden. Mir ging es nur dadrum, die Komplexität des Prozesses darzustellen, und dass es zwei notwendige Voraussetzungen gibt: Strafbares Handeln und 2/3 Mehrheit.

[i]
Ende desselben Monats platzte Rousseffs Regierungskoalition mit der PMDB, die als Zentrumsblock im Parlament die stärkste Kraft ist. Damit konnte Rousseff so gut wie keine eigenen Gesetze mehr durch den Kongress bringen und ihr fehlte die Unterstützung beim laufenden Amtsenthebungsverfahren.

Absolut richtig. Nennt sich Regierungskrise. In Deutschland könnte man das an einem Vormittag durch Vertrauensfrage bzw. konstruktives Misstrauensvotum lösen. Geht in Brasilien aber nicht, weil Präsidialsystem (hat das brasilianische Volk nach der Diktatur in einer Volksabstimmung so entschieden - meiner Meinung nach dumm, aber mich hat ja keiner gefragt ;-) )

Der Schritt der PMDB wird von einigen als eine Art „Staatsstreich“ angesehen, da im Falle einer Amtsenthebung der PMDB-Vorsitzende und Vizepräsident Michel Temer Rousseff beerben würde. [/i]

Ja. Weil das die normale Abfolge ist. Temer war genauso demokratisch legitimiert, wie Rousseff, weil sie auf dem selben Ticket standen.

Davon abgesehen: mir wäre es auch lieber gewesen man hätte Neuwahlen angesetzt, aber das wollten weder Temer noch Dilma, weil sie beide wussten, dass sie keine Chance gehabt hätten.

Also vor die Vorwürfe beurteilt waren.

Nein, siehe oben Punkt 4 zum Ablauf. Temer übernahm erstmal nur kommissarisch die "Urlaubsvertretung".

Ich halte die Vorwürfe zur illegalen Kreditfinanzierung für stichhaltig und bewiesen. Die Meinung teilt übrigens auch der brasilianische Rechnungshof, der zum ersten Mal in seiner Geschichte dem "Jahresabschluss" der Regierung sein "Testat" verweigerte. (Ich verwende die deutschen Begriffe, um es etwas verständlicher zu machen.)

Rousseff setzte sich vehement für die Antikorruptionsermittlungen im Lava-Jato-Skandal ein. Im Zuge der „Operation Waschstraße“, wie die Ermittlungen in dem Skandal um den staatlichen Mineralölkonzern Petrobras in Brasilien genannt werden, waren bereits zahlreiche hochrangige Politiker zu Haftstrafen verurteilt worden. Gegen gut die Hälfte aller brasilianischen Kongressmitglieder laufen oder liefen Ermittlungsverfahren, weil sie in Korruptionsskandale verwickelt sind.

Auch interessant, wer denn da am Abstimmen war.

Stimmt. Das Ergebnis waren allerdings 2/3 womit notwendigerweise auch einige nichtkorrupte für das Impeachment gestimmt haben. Und das Verhältnis ändert sich weiter, weil auch Korrupte *gegen* das Impeachment gestimmt haben.

Und: böse Zungen behaupten, dass Dilma die lava jato auch benutzte, um sowohl ihre eigenen politischen Gegner auszuräumen, aber auch um Lula zu schwächen, und damit mehr Macht innerhalb der PT zu bekommen - alles nicht so einfach.

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