Um einmal hinten zu beginnen - natürlich ist es ein Skandal, dass ein ohnehin aufgeblähtes Militärbudget Jahr für Jahr real gesteigert wird. Selbstverständlich könnte man mit den andernfalls zur Verfügung stehenden Milliarden sozial Sinnvolles anstellen. Dennoch hat Schleim recht, wenn er betont, dass das Problem nicht in der Verfügbarkeit pekuniärer Mittel liegt. Das erhellt allein schon die Tatsache, dass die Sozialausgaben auch unter den gegebenen Umständen den grössten Budgetanteil beanspruchen. 2019 überstiegen sie erstmals die Billionenmarke. Das ist im Vergleich zum Militär nochmals eine andere Grössenordnung. Ein struktureller Hund liegt da begraben, die ökonomischen Spielregeln produzieren ein riesiges und sogar in Boomzeiten weiter zunehmendes soziales Defizit, die Sozialausgaben wachsen ständig, kommen den Bedürfnissen aber nicht hinterher. Auch sub specie capitalis, also unter Hinnahme des Kapitalismus, kann man das besser machen.
Die Linke ist eine um Sitze in bürgerlichen Parlamenten kämpfende Partei. Als solche strebt sie per definitionem nach politischer Macht. Es ist daher nicht weiter verwunderlich, wenn zumindest dann, wenn diese in Griffweite scheint, damit inkompatible Inhalte in den Hintergrund geschoben werden. Nato-Unterstützung und Westausrichtung sind in Deutschland Staatsraison. Wer als politische Minderheit in diesem Staat auf höchster Ebene exekutiv mitmischen will, muss das akzeptieren.
Die Friedensbewegung hat dieses Dilemma nicht, sie muss sich nicht entscheiden. Diesen Unterschied sollte man nicht verwischen. Sie hat ein anderes Problem - sie ist so unscheinbar geworden, dass man sie kaum mehr wahrnimmt. Zwar wird medial pflichtschludrig jeweils über die Ostermärsche berichtet, doch sehen diese wenig beeindruckend aus, mehr nach absterbender Folklore als nach politisch relevantem Faktor. Das ist tragisch. Kaum jemand will Krieg, sich aber gegen seine Vorbereitung einzusetzen ist äusserst unsexy, obwohl ein potentieller weiterer Grosskrieg unvorstellbare Auswirkungen hätte, die zumindest kurz- und mittelfristig noch die Klimaproblematik in den Schatten stellten. Das aber scheinen fast alle zu verdrängen.