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  • schandsaat

mehr als 1000 Beiträge seit 01.12.2004

Stalinorgel meets Civilian II

So, ich hab gerade erfahren, dass ich heute nicht arbeiten muss, also
kann ich noch ein bißchen weiter rummosern;-)

> Die Begriffe "Land", "Provinz" und "einfaches Leben", einst unter
> ideologischem Generalverdacht stehend und mit Verachtung belegt, werden
> aufgewertet und übercodiert von einer Sehnsucht nach etwas, was man nicht, nie
> gehabt und/oder wieder verloren hat.

Leider hält es der Autor nicht für notwendig, weder den Verdacht
näher zu erläutern, was ihn auf das Niveau eines Zeilenfüllers
reduziert, noch den Verdacht, unter dem er selbst steht, nämlich den
einer unglaublich simplen Schwarz-Weiss-Sicht, zu entkräften. Das
einfache Leben war, und ist für alle Menschen ein erstrebenswertes
Ziel! Warum die 68er wohl so gerne in die Toskana gefahren sind, und
es heute noch tun? Kein kritisches Wort zu dieser ominösen Sehnsucht,
zu den realen Verhältnissen, die auf dem Land herrschen. Was für eine
rosarote Welt, in der man in dicken Autos aufs Land fährt, und vom
guten Kumpel Bio-Bauer direkt in den Mund versorgt wird. So einen
Schmarrn sollte man als das entlarven, was er ist, nämlich
bürgerlich-reaktionärer Mainstream-Schwindel, und ihn nicht ad
nauseam reproduzieren.

> Moritz von Uslars Held Walter Gieseking etwa zieht es nach "Waldstein"
> (Kiepenheuer & Witsch, 2006) zur schwerreichen Ellen von Galgern, die ihm ein
> bequemes bürgerliches Dasein zwischen Schrankwänden, Bausparvertrag und
> lärmenden Nachwuchs erlaubt.

Ach wie herrlich. Erinnert mich an Hedwig Courts-Mahlers
"Bettelprinzess". Die fahren mit Sicherheit auch einen schönen,
british racing green-farbenen Landrover. Schließlich sind ja alle
schwerreich. Ich habe mich in meinem Studium häufig mit dem Begriff
der "Signifikanz" auseinandersetzen müsse. Zugegeben, ein solches
Konzept auf Literatur oder ähnliches übertragen zu wollen, ist nicht
ganz unproblematisch. Wenn man es dennoch versuchte, wäre so ein Buch
definitiv nicht signifikant.

> Heimat, Herkunft und Provinz sind für den "young urban professional" nicht
> mehr etwas, was man bespöttelt oder karikiert, dessen man sich schämt und
> folglich vor anderen verbergen muss, sondern Orte der Dauer und Stabilität, wo
> Kurioses und Beklemmendes, Einengendes und Bedrohendes eng neben dem
> Vertrauten und Geborgenen, Gewohnten und Fürsorglichen liegen und Leben und
> Lieben scheinbar geordnet nach strengen Regeln verlaufen.

Gut, hier wird es klarer. Es geht um Yuppies! Und der gute Herr
Maresch hat nichts anderes zu tun, als deren völlig sinnentleerte
Suche nach, eben, Signifikanz, in großväterlichem Ton zu
kommentieren. Aber, was zur Hölle hat das mit der Ars Electronica zu
tun?

> Die gleichen Leute, die sich über volltrunkene Punks in ihrer Kleinstadt
> ereifern, rufen die Polizei, wenn sie beobachten, dass sich auf dem
> Nachbargrundstück verdächtige Personen bewegen. Eine Studie, die jüngst Necla
> Kelek im sonntäglichen "Presseclub" zitiert hat, besagt, dass ethnische
> Probleme zwischen Ausländern und Einheimischen dort unbekannt sind, wo die
> Verhältnisse so stabil und überschaubar sind wie im bayerischen Hinterland.

Die Frage, die sich stellt: Was hat der erste Satz mit dem zweiten zu
tun? Meine Antwort: Nichts! Manchmal kann es so einfach sein. Btw.
ist es anscheinend zu viel verlangt, wenn diese Studie im Text
verlinkt wäre? Aus dritter Hand ist so etwas nicht wirklich
überzeugend. Übrigens sind das auch die gleichen Leute, die aus ihren
Kleinstädten und Vororten am Wochenende in die Stadt fahren, um mal
richtig die "Sau" rauszulassen. Wer mal in einer größeren Innenstadt
gelebt hat, wird wissen, wovon ich spreche. Dann wird völlig enthemmt
auf den Straßen uriniert, gekotzt und gegrölt, ohne Rücksicht auf
Verluste oder Anwohner. In der Woche sind diese Leute meistens so
angepasst, dass es mit dem erhöhten Tonus ihres Sphinkter externus
wunderbar korrelierte, würde man so etwas messen. Immer schön nach
oben buckeln, und nach unten treten, wie das Beispiel mit den Punks
ja illustriert.

> "Simplicity ist nicht das Gegenteil von Komplexität, sondern ihr
> komplementärer Schlüssel, die Formel, durch die sich die Polyvalenzen der
> virtuellen Realitäten und vernetzten Wissensräume erschließen und nutzen
> lassen", schreibt er im Programmheft.

Vielleicht wäre es in Anbetracht dieser absurden Sprache angebracht,
einfach mal ein wenig "Simplicity" in das Gesülze des Programmheftes
einfließen zu lassen.

> Mithin gehe es darum, "mit Komplexität konstruktiv umzugehen und sie für uns
> zu nutzen", darum, "intelligente und handhabbare Lösungen für komplizierte und
> vielschichtige Aufgabenstellungen zu finden".

Das hat ja ganz schön lange gedauert, bis der Herr Direktor auf diese
Erkenntnis gestoßen ist. Hätte er sich vielleicht mal in der Welt ein
wenig umgeschaut, ja vielleicht sogar an ihr teilgenommen, wäre ihm
eventuell früher aufgefallen, dass Komplexität schon hinreichend
genutzt wird. Auch in der Kunst.

> Wie sie das jedoch erzählen oder besingen, zeigt, dass auch sie das "Back to
> Basics" nur zur Selbstvergewisserung des Eigenen nutzen. Im Grunde sind auch
> sie ziemlich froh, dass sie die kleinbürgerlichen Idyllen mit Tante Emma
> Läden, Aldi-Märkten und Eigenheimsiedlungen verlassen haben und in den
> Metropolen nach Glück, Macht und Ruhm jagen.

Aber Herr Maresch, als sie diesen Abschnitt geschrieben haben, hätte
da nicht auch ihnen auffallen müssen, dass damit das erste Drittel in
relativer Nutzlosigkeit versinkt?

> Und dennoch hat man den Eindruck, dass etliche Jünger das Bogenschießen in der
> alteuropäischen Landschaft, die Stille der Krypta, die Begegnung mit den
> Mönchen oder das Inhalieren neuer Sinneseindrücke im Garten sichtlich Freude
> und Vergnügen bereitet. Wer sie beim Flanieren beobachtet, wie sie die "reale
> Gegenwart" der Natur aufsaugen, Geräusche, Gerüche, Eindrücke, fühlt man sich
> an jene Kinder erinnert, die zum ersten Mal entdecken, dass Kühe schwarz, weiß
> oder braun gefärbt sind und nicht lila.

Nun wird endlich der gesamte Idyllen-Schrott, der vorher über
atemberaubend viel Platz ausgebreitet wurde, endlich wahrhaft
beschrieben. Wer die Stille, oder den Blumenduft neu entdecken muss,
kann der eingentlich ein ernstzunehmender Künstler, gar Mensch sein?
Ist diese Festival wirklich nur von degenerierten Halb-Cyborgs
bevölkert?

> Weniger spirituell ging es dagegen einen Tag zuvor auf dem Themensymposion zu,
> durch das ein launiger und blendend aufgelegter John Maeda führte.
Achso, das Kloster als Veranstaltungsort gewählt, stellt sich die
Spiritualität von alleine ein. Herzlichen Glückwunsch.

> Walter Bender, ehemaliger MIT-Mitarbeiter, stellte seinen 100 Dollar Laptop
> vor, mit dem er Kinder der Dritten Welt demnächst beglücken wird....


http://www.heise.de/tp/foren/go.shtml?read=1&msg_id=11159227&forum_id=104256


> Ästhetisch ist das nicht besonders aufregend. Weswegen es nicht verwundert,
> dass Werke der Medienkunst, die in Linz präsentiert werden, meist wenig zu
> überzeugen vermögen.

Alles in allem, scheint die Veranstaltung es nicht wert gewesen zu
sein, einen derart langen, unzusammenhängenden und schlechten Text zu
schreiben. Bliebe noch die Frage: Warum?

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