Anja Böttcher schrieb am 16.07.2018 23:32:
Wo siehst Du denn eine Chance, dass ein Niedergang bedeuten würde, dass nachhaltige selbstbestimmte und humanitäre Gesellschaftsformationen die kapitalistische Negation des Menschen ersetzen könnte?
Ich zitiere Hölderlin, Verse, die er im Tübinger Stift nach Gesprächen mit den Idealisten Schelling und Hegel geschrieben hat:
"Aber kommt, wie der Strahl aus dem Gewölke kommt,
Aus Gedanken vielleicht, geistig und reif die Tat?
Folgt die Frucht, wie des Haines
Dunklem Blatte, der stillen Schrift?Und das Schweigen im Volk, ist es die Feier schon
Vor dem Feste? die Furcht, welche den Gott ansagt?
O dann nehmt mich, ihr Lieben!
Daß ich büße die Lästerung.Schon zu lange, zu lang irr ich, dem Laien gleich,
In des bildenden Geists werdender Werkstatt hier,
Nur was blühet, erkenn ich,
Was er sinnet, erkenn ich nicht."Hoffnung ist zutiefst menschlich; doch Lebenserfahrung macht skeptisch.
"Wohl ist enge begrenzt unsere Lebenszeit,
Unserer Jahre Zahl sehen und zählen wir,
Doch die Jahre der Völker,
Sah ein sterbliches Auge sie?Wenn die Seele dir auch über die eigne Zeit
Sich, die sehnende, schwingt, trauernd verweilest du
Dann am kalten Gestade
Bei den Deinen und kennst sie nie,Und die Künftigen auch, sie, die Verheißenen,
Wo, wo siehest du sie, daß du an Freundeshand
Einmal wieder erwärmest,
Einer Seele vernehmlich seist?Klanglos, . . . ists in der Halle längst,
Armer Seher! bei dir, sehnend verlischt dein Aug
Und du schlummerst hinunter
Ohne Namen und unbeweint."
Was denkst Du, was kommt, wenn die derzeitige kapitalistische Logik kollabiert?Hauen und Stechen? Ein verzweifelter Kampf jeder gegen jeden?
Oder neue Ernüchterung? Klarheit? Neubeginne?
Ich gestehe: Ich sehe da: nichts, jedenfalls nichts Bestimmtes.
Möglich ist alles. Es hängt von den Menschen und ihrem Willen ab, das Gesetz des Handels zu ergreifen. Grundsätzlich bin ich unverbesserlicher Optimist (Hölderlin: wo die Gefahr wächst, wächst das Rettende auch). Für mich ist zeitlebens das selbstverständlichste der Welt, die Probleme anzuschauen - und nach Lösungen zu suchen. Eine der Aufgaben, die ich mir gestellt habe, ist eine Verfassung nachstaatlicher planetarer Ordnung zu erstellen und darin all das einfließen zu lassen, womit ich mich in all den vielen Jahren beschäftigt habe. Nun reicht natürlich eine Verfassung nicht, da muss mehr passieren, nämlich mit anderen zusammen ein diesbezügliches Zusammenleben zu erschaffen. Ich verstehe mich nicht als Akademiker, der in seiner Akademie hockt, sondern als Argonauten, also jemand der sich mit anderen Argonauten auf die Reise in die Zukunft zu machen. Die Erzählung von den Argonauten habe ich mir zu eigen gemacht. Eine kleine Reisegesellschaft aus Wesen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Es müssen nicht einmal alles Menschen sein. Auf dieser Reise befinde ich mich. Lehrmeister sind Rosenstock-Huessy, Denis de Rougement ("Die Zukunft ist unsere Sache"), Georges Bataille und viele andere. Aus diesen und vielen andere Quellen schöpfe ich. Deutsch-französische Dritte- Weg-Diskurse, wie Wolfgang Keller sie genannt hat. Selbstverständlich auch Marx (seine ökonomischen und anderen Analysen) und Nietzsche.
Du hattest kürzlich auf den Zusammenhang von Kapitalismus und Faschismus (Krit.Theorie). Was Du ausgeführt hattest, teile ich voll und ganz. Auch Deine Präzisierungen zu Theorie und Verschwörungs"theorie". Solche Präzisierungen vermisse ich bei den meisten Zeitgenossen. Der Grad an sprachlicher Verwahrlosung ist nahezu unerträglich.
Hier mache ich mal einen Punkt. Es gäbe noch unendlich viel zu sagen/schreiben.