Ist doch so. Seit Jahren wird gepredigt, nur wenn wir den Gürtel enger schnallen, können wir den Standort Deutschland im internationalen Wettbewerb attraktiver machen. Unser "Exportweltmeistertitel" geht nunmal nicht, wenn wir alle Wohlstandslöhne kassieren oder uns einen fetten Sozialstaat leisten!
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Realität? Der erste Arbeitsmarkt schrumpft, der zweite Arbeitsmarkt boomt und der dritte Arbeitsmarkt ist nötig, weil die Löhne und Gehälter des zweiten Arbeitsmarktes nicht für den Alltag ausreicht und die sinkenden Renten aufgestockt werden müssen.
Besonders perfide: wer als heute 30-Jähriger den Mindestsatz erreichen möchte, muss bis zur Rente schon ein Brutto von 2.500,- Euro erzielen, darf auch nicht längere Zeit ausfallen oder unter diesen "Mindestbruttowert" fallen. Wer also weniger verdient, erhält nicht den Mindestrentensatz, ohne aufstocken zu müssen - und ist damit defakto predestiniert für einen Ruhestand in Armut. Weil das des Hohnes noch nicht genug ist, sollen wir alle in eine private Rentenversicherung investieren. Nur: wer schon nicht genug Geld verdient, um die Mindestrente zu sichern, wie soll derjenige auch noch Geld zur Seite legen, um eine Privatrente zu finanzieren? Auch diejenigen, die das genannte Brutto erreichen oder überschreiten haben nicht so üppige Mittel übrig, um sich privat abzusichern. Über Immobilien geht dank Immobilienblase gerade nichts, alternative Anlageformen bieten keine Sicherheiten mehr und nur einen minimalen Zins.
Arm im Erwerbsleben, arm in der Rente - das hat uns Agenda 2010 beschert. Der Druck auf die Löhne ist nur möglich gewesen, weil Netz und doppelter Boden (Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe) entzogen worden sind und durch "Hartz IV" ersetzt wurde - einem sanktionierungsfähigen Existenzminimum (Oxymoron!!!). Wer weiß, dass seine Existenz durch eine längerfristige Arbeitslosigkeit gefährdet wird, nimmt jeden Job an und fordert weniger Gehalt. Es ist kein Zufall, dass bis auf wenige Oasen der gewerkschaftlich geschützten Branchen mit Tarifverträgen überall die "Privatwirtschaft" Druck aufbaut und immer kleinere Löhne und Gehälter zahlt. Das schlägt inzwischen durch bis auf die Studienberufe: weil MINT-Berufe chronisch schlechter bezahlt sind als z.B. Jura und BWL, gibt es hier massiven Fachkräftemangel. Aber das sind noch Luxusprobleme: in der Baubranche, im Einzelhandel, in den Dienstleistungsbranchen werden so absurd geringe Löhne gezahlt (oft nur Mindestlohn der aufgeweicht wird durch massiv angehäufte unbezahlte Überstunden), dass ohne Aufstocken das Geld nicht mehr für den Alltag ausreicht.
Richtig gemein ist aber, dass insbesondere in jenen Branchen, die mit unserem Exportweltmeistertitel überhaupt nichts zu tun haben, die größten Kaufkraftverluste zu beobachten sind. Damit ist eigentlich auch die Behauptung ad absurdum geführt, dass nur durch eng geschnallte Gürtel Deutschland als Standort attraktiver gemacht wird: die Exportbranchen zahlen mit Abstand die besten Löhne, sind oft genug noch gewerkschaftlich organisiert (IG Metall!) - und sind aufgrund vom Image oder dem simplen Umstand, dass sie quasi monopolistisch in der globalisierten Welt auftreten können (Spezialmaschinen made in Germany), hochprofitabel.
Tja. Soviel dazu.