Dabei ging's um die weit verbreitete Tendenz der Presse, statt (langweiliger) Nachrichten mehr und mehr Reportagen zu bringen. Um diesen Reportagen die von den Redaktionen gewünschte "Authentizität" zu verleihen werden sie gerne aus subjektiven Perspektiven erzählt, wobei die Gefahr groß ist, nicht in's Bild passende Fakten wegzulassen - oder gar, wie bei Relotius, Sachen hinzuzudichten.
(Die Grenzen der Reportage zum Roman werden somit fließend)
Ein ZON-Artikel von damals bringt's ganz gut auf den Punkt:
Journalismus: Die Welt als Reportage
Im Journalismus gibt es das fatale Bedürfnis, die Wirklichkeit erzählerisch passend zu machen. Solche Texte wollen nicht aufklären, sondern Trost spenden.
[...] Denn was zählte für die Redaktion bei der Warenanlieferung? Es zählte die "Stimmigkeit". Doch Stimmigkeit ist eine ästhetische Kategorie; sie meint die innere Vollkommenheit eines Kunstwerks, das widerspruchsfreie Verhältnis der Teile zum Ganzen. Stimmig ist eine Komposition, wenn es ihr gelingt, die Welt harmonisch zur Einheit zu bringen.
[...] Schon seit längerer Zeit beobachten Kulturwissenschaftler einen Funktionswandel journalistischer Texte. Journalisten versuchen, die Realität nicht mehr bloß zu beschreiben, sondern sie zu erzählen – und zwar so, dass der Text eine geschlossene Welt entstehen lässt, in die der Leser eintauchen kann, die ihn abholt und umfängt. [...]
- https://www.zeit.de/2019/01/journalismus-reportagen-wirklichkeit-aufklaerung-claas-relotius
(Hervorhebung im unteren Absatz von mir)
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (19.01.2021 16:55).