tertium non datur schrieb am 19.01.2021 18:01:
Das eigentliche Problem besteht darin, dass die Presse in den 1990ern/2000ern (durch Blogger, Vlogger etc) gemerkt hat, dass "Authentizität" beim Leser zieht und weniger allzu nüchterne Nachrichten.
So füllten dann immer mehr Reportagen die Seiten, wo vorher Nachrichtentexte standen. Die subjektive Perspektive von Involvierten und das vermeintliche "mittendrin statt nur dabei" wurden zunehmend wichtiger, als die nüchterne Beschreibung
Auch "Nachrichtentexte" können aus Lügen bestehen - so wie Reportagen ehrlich und ohne Manipulationsabsicht gestaltet sein können.
Das Problem ist nicht die literarische Form, sondern der Inhalt. Denn wir reden hier nicht von Literatur, bei der die Form mindestens so wichtig ist wie der Inhalt, wenn nicht sogar wichtiger (Gedichte). Hier geht es um politischen Journalismus. Kritik daran ist immer Kritik am Inhalt.
Kritik an der "Relotius-Presse" ist dementsprechend weniger die Kritik an der Leichtgläubigkeit einer betrogenen Redaktion. Und schon gar nicht ist es die feuilletonistische Kritik an einer Schreibform.
Der Ausdruck "Relotius-Presse" steht vielmehr für einen Journalismus, der Lügen und Propaganda effektvoll in hübsche Geschichtchen verpackt, weil Lüge und Propaganda dadurch besser wirken. Es ist letztlich eine Kritik am Inhalt.
Ob dieser Inhalt komplett erfunden ist, wie bei Relotius, oder zu manipulativen Zwecken sehr selektiv ausgewählt, spielt dabei im Grunde genommen keine Rolle.
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (19.01.2021 18:47).