Limonow war kein Dissident, darauf hat er nach seiner Rückkehr nach Russland hartnäckig bestanden. In einem Interview erklärte er, sein Konflikt mit der Staatsmacht habe in "Differenzen ästhetischer Art" bestanden.
Nun war die sowjetische Kulturpolitik jeder Zeit nicht so umfassend in Beton gegossen, wie im Westen gelegentlich getan wird (man erinnere sich beispielsweise an Tarkowski), aber für die Limonowsche Lyrik (und später Prosa) war sicher kein Platz vorgesehen. Vielleicht gab er deshalb dem behördlichen Drängen nach, auszureisen.
Man muss sich vielleicht auch vor Augen halten, dass das "echte", also offen politische Dissidententum von Ausnahmen abgesehen in der SU erst ab Mitte der siebziger Jahre sichtbar wurde ("Helsinki-Gruppen"). In den vorhergehenden etwa zehn Jahren drehte sich die Auseinandersetzung wohl in erster Linie um die Geschichtspolitik, also die Fortsetzung der Aufarbeitung der Stalinära (teilweise unter der Losung "Zurück zu Lenin"!) und um kulturpolitische Fragen ("sozialistischer Realismus" usw.). Prag 1968 bedeute dann natürlich einen Einschnitt und Ernüchterung.
Selbst Jelena Bonner, die anschließend zur Übermutter der Dissidenten avancieren sollte, trat erst 1972 aus der Partei aus, in die sie 1965 eingetreten war.
Es war die Staatsmacht, die Limonow für ein "antisowjetisches Element" hielt und ihn 1973 zur Ausreise ermunterte, was merkwürdig ist, denn er fiel in der Moskauer Kulturszene der späten sechziger/ frühen siebziger Jahre sicher nicht sonderlich auf.
In diese Zeit fiel aber die Ausreise etlicher bekannter sowjetischer Künstler. Solschenizin wurde 1974 ausgewiesen, Josif Brodsky 1972. Der Bildhauer Schemjakin, der 1971 ausgewiesen wurde, vermutete, dass nicht der KGB sondern der Künstlerverband dahinter stecke.
Ich möchte noch eine Begebenheit erwähnen, die im Film sicher nicht vorkommt, aber m.E. für Limonow charakteristisch ist, der sich meiner Vermutung nach erst im Exil politisierte.
Im Jahre 1976 erschien in einem New Yorker Exilverlag Andrej Sacharows Heftchen "Über das Land und die Welt", indem all die dissidentischen Themen angesprochen wurden und er u.a. die Lebensbedingungen in der Sowjetunion mit denen im Westen verglich. Selbstverständlich idealisierte Sacharow darin die letzteren.
Das rief Limonow und zwei andere, in New York lebende sowjetische Exilanten (Prussakow, Bachtschanjan) auf den Plan, die solche Vergleiche aus eigener Anschauung ziehen konnten. Gemeinsam verfassten sie einen "Offenen Brief an Andrej Sacharow", griffen also zu einem Mittel, dessen Sacharow selbst sich gern bediente. Der Brief gipfelte in einem Aufruf an Sacharow, sich für die Rückkehrmöglichkeit für Exilanten einzusetzen.
"Da wir Sie als selbstlosen Verfechter der Menschenrechte kennen, bitten wir Sie, einigen ehemaligen Sowjetbürgern bei der Rückkehr in ihre verlorene Heimat zu helfen. Uns scheint, dass Ihr Einsatz zu ihrer Unterstützung sich in vollem Einklang mit Ihrem Wirken befinden würde."
Limonow und die anderen organisierten eine kleine Kundgebung vor dem Sitz der New York Times, um den Abdruck des offenen Briefes durchzusetzen. Vergeblich. Limonow wurde anschließend von der exil-russischen Zeitschrift "Nowoje Russkoje Slowo", für die er arbeitete, gefeuert.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
P.S.
In Limonows Erstlingsroman "Ich bin's - Edik" (1976) zieht sein alter ego ebenfalls über "die gefährliche Naivität" von Sacharow und Solschenizin her und verortet das sowjetische Dissidententum als "rechts".
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (29.05.2024 20:57).