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  • Karl Sten

mehr als 1000 Beiträge seit 14.08.2015

Ein paar Anmerkungen zu dem Artikel

Ein paar Sachen sind mir in dem Artikel aufgefallen, aber auch ich erhebe keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Dabei ist die Luftwaffe der Volksrepublik China keineswegs in den völkerrechtlich definierten Luftraum Taiwans eingedrungen, sondern in eine von Taiwan selbst definierte "Luftraumüberwachungszone", die übrigens – das ist bemerkenswert – weit bis über das chinesische Festland reicht.

Die Aussage bzgl. der Lage der Luftraumüberwachzone ist erst einmal richtig. „... weit bis über das chinesische Festland reicht“ erscheint im Kontext manipulativ, da Taiwan sich nicht über Flugzeuge über dem chinesischen Festland beschwert hat – sondern über Flugzeuge die in internationalen Gewässern (am südlichen Rand der taiwanischen ADIZ) südlich der Insel unterwegs waren.

https://en.wikipedia.org/wiki/Air_defense_identification_zone#/media/File:JADIZ_and_CADIZ_and_KADIZ_in_East_China_Sea.jpg

Da sieht man dann auch, dass die ADIZ „East China Sea“ der VR China auch die von Japan verwalteten Senkaku Inseln beinhaltet. Diese werden allerdings auch von Taiwan und China beansprucht.

Die ADIZ verschiedener Länder können sich also durchaus überschneiden.

Es mag sein, dass es sich bei diesem Fall um eine etwas schwierige Sachlage handelt. Recherchen zur Sachlage halten mache Journalisten offenbar aber für ebenso überflüssig wie eine nachträgliche Richtigstellung.

In Idealfall sollen Journalisten die unterschiedlichen Standpunkte herausarbeiten und gegenüberstellen. Fehlt leider in diesem Artikel auch.

Die Fortsetzung war damit klar: Taiwan brauche dringend mehr Waffe, hieß es in der Neuen Zürcher Zeitung: "Taiwans Regierung verspricht daher bereits, insbesondere mehr Raketen anzuschaffen, um chinesische Flugzeuge, Schiffe und Militärbasen attackieren zu können."

Wenn Taiwan das Recht hat sich gegenüber seinem großem Nachbarn zu verteidigen, dann kann Taiwan auch so viele Waffen kaufen wie sie benötigen. Daher ist die Schlüsselfrage, wie man zum Existenz- und Selbstbestimmungsrecht von Taiwan steht.

Und in der aktuellen Situation können wir es auch als gesetzt sehen, das Taiwan nicht den ersten Schuss abfeuern wird. Sie sind ja nicht lebensmüde und es würde ihnen keinen Vorteil bringen.

Das Resultat: Angesichts der Sachlage sind "wir" natürlich ohne weitere Nachfrage dafür, dass sich der kleine, demokratische David angemessen verteidigen kann - was denn sonst? Oder ist die "Taiwan-Frage" vielleicht doch etwas anders beschaffen?

Tatsächlich ist die Frage nicht was Taiwan früher war, sondern was es heute ist. Die Kuomintang Diktatur bis in die 90er wäre einer Verteidigung nicht wert gewesen. Aber das Land hat sich seit den 90er Jahren zu einer erfolgreichen Demokratie entwickelt.

Die Sowjetunion, die nach den Jahren des Bürgerkrieges und der Interventionen kapitalistischer Staaten in die junge Republik endlich Ruhe an ihrer langen Ostgrenze haben wollte, hatte seit den 1920er-Jahren immer wieder versucht, beiden Parteien - gegen alle ideologischen Differenzen - die Bildung einer Volksfront ans Herz zu legen.

Das stellt die Rolle der Sowjetunion doch sehr beschönigend dar.

https://de.wikipedia.org/wiki/Sowjetisch-chinesischer_Grenzkrieg_(1929)

In dem Artikel steht einiges mehr zu den Hintergründen. Gerade in Zeit bis Ende der 20er Jahre war das Verhältnis Sowjetunion / Republik China von einigen Konflikten geprägt.

Während des Zweiten Weltkriegs wurde China von den Japanern besetzt, die einen "Ergänzungsraum" für ihren aufstrebenden Kapitalismus beanspruchten.

Nicht erst seit dem 2. Weltkrieg, der „Zweite Japanisch-Chinesischer Krieg“ begann bereits 1937 und die ersten militärischen Aktionen erfolgten bereits 1931 mit der Manschurei Krise, als Japan die Mandschurei besetzte. Also 10 Jahre bevor Japan sich 1941 am 2. Weltkrieg beteiligte.

https://de.wikipedia.org/wiki/Mandschurei-Krise
https://de.wikipedia.org/wiki/Mandschurei

Zudem hatte die Volksbefreiungsarmee den Japanern bis zum Kriegsende den wesentlich entschiedeneren Widerstand entgegengesetzt und damit Mitglieder aller Klassen und Schichten für sich gewonnen.

Da gibt es auch noch eine entgegengesetzte Darstellung:

Die Kuomintang kämpften in 22 Schlachten, in denen auf jeder Seite mehr als 100.000 Soldaten beteiligt waren, und in über 40.000 kleineren Gefechten, von denen in über 1000 Gefechten auf jeder Seite über 50.000 Soldaten beteiligt waren. Die Kommunisten vermieden größere Kämpfe, um ihre Kräfte für einen vorhersehbaren Kampf um China gegen die Kuomintang zu schonen und zu vergrößern; die meisten militärischen Aktivitäten waren Guerilla-Angriffe in ländlichen Gebieten, vor allem in Nord-China. Die einzige Ausnahme davon war die Hundert-Regimenter-Offensive, die ohne Zustimmung von Mao durchgeführt wurde.

https://de.wikipedia.org/wiki/Zweiter_Japanisch-Chinesischer_Krieg#Opferzahlen_und_Folgen

Und nach dem Bürgerkrieg

Ciang Kai-Shek zog sich nach seiner Niederlage nach Taiwan zurück - eine Insel, die von 1895 bis 1945 von den Japanern besetzt gewesen war und damals noch den portugiesischen Namen "Formosa" - die Schöne - trug. Im Gepäck hatte er die Gold- und Devisenreserven des Landes; begleitet wurde er von Teilen der wirtschaftlichen und intellektuellen Elite.

Ergänende Informationen zum Status von Taiwan

https://de.wikipedia.org/wiki/Taiwan_unter_japanischer_Herrschaft#Abtretung_Taiwans_(1895)

Vor 1895 hat China 45% von Taiwan kontrolliert – hatte also nie die komplette Kontrolle über die Insel.
Dann gab es den „Ersten Japanisch Chinesischer Krieg“

https://de.wikipedia.org/wiki/Erster_Japanisch-Chinesischer_Krieg
https://de.wikipedia.org/wiki/Vertrag_von_Shimonoseki

In diesem „ungleichen“ Friedensvertrag hat China nach der Kapitulation u.a. Taiwan an Japan abgetreten. So etwas passiert, wenn man einem Krieg verliert.

So wie wir nach dem Krieg Elsass-Lothringen, Schlesien, Pommern und Königsberg abtreten mussten. Sollen wir jetzt diese Gebiete auch wieder zurückfordern? Nein.

1945 haben die Japaner dann vor den National Chinesen kapituliert und nicht vor den Mao Leuten.

Nach dem Ende des Pazifikkrieges 1945 kapitulierte Japan auf Generalbefehl Nr. 1 des Oberkommandierenden der Alliierten Mächte, Douglas MacArthur, vor dem Generalissimus Chiang Kai-shek. Dabei wurde die Insel Taiwan (damals: Formosa) nach fünfzig Jahren japanischer Kolonialherrschaft an die Republik China übergeben. Kurz darauf brach auf dem chinesischen Festland der Bürgerkrieg zwischen der Kuomintang und den Kommunisten erneut aus.

https://de.wikipedia.org/wiki/Republik_China_(Taiwan)#Geschichte

Und natürlich waren die Kuomintang aus heutiger Sicht schreckliche Leute. Aber wie bereits ausgeführt hat sich Taiwan seit den 90er Jahren massiv zum Besseren entwickelt und das ist ein Treppenwitz der Geschichte – ohne die Investitionen Taiwan (als drittgrößter Investor nach Japan und Hongkong) in den chinesischen Sonderwirtschaftszonen wäre die wirtschaftliche Entwicklung der VR China erheblich langsamer gewesen.

https://de.wikipedia.org/wiki/Taiwan-Konflikt#Wirtschaftliche_%C3%96ffnung

Das Problem der KPCh mit Taiwan ist daher eher existenziell. Denn Taiwan ist das lebendige Beispiel dafür, dass Chinesen in einer liberalen Demokratie erfolgreicher sein können, als Chinesen gleichen Ursprungs in einer Ein-Parteien-Diktatur. Das wird immer ein gefährlicher Nagel im Fleisch der KPCh sein, bis dieser Nagel beseitigt wird.

Wenn Taiwan und die VR China sich aus freier Entscheidung wiedervereinigen wollen - meinen Segen haben sie. Aber die Wirtschafts- und Überwachungspolitik ist für die Taiwanesen im Moment eher abschreckend - und eine Konsequenz der verfehlten Wirtschaftspolitik der VR China sind seit 2021 anhaltende Stromsperren und -ausfälle in vielen Provinzen.

https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/china-stromausfall-1.5424478

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