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  • Pnyx (1)

mehr als 1000 Beiträge seit 01.07.2017

Intentionen

Es dauert eine Weile bis die prochinesische Artikeltendenz klar wird. Murawski wandelt scheinbar auf den ausgetretenen China-theoretischen Pfaden, wenn er sich etwa länger über die Chancen einer 'Demokratisierung' Chinas auslässt, dann aber by the way Tienanmen als eine gescheiterte Farbrevolution outet und bemerkenswert schnell über die Internierungslager für Uiguren hinwegschreibt. Das Korruptionsargument wird durch im Westen verbreiteten versteckten Nepotismus abgeschwächt. (Korruption ist vielfältig und sehr länderspezifisch, das Ranking von TI ist trügerisch, weil es viele, weniger offensichtliche Formen nicht erfasst.)
Dann konstatiert Murawski "Ähnlichkeiten mit dem 'Rheinischen Kapitalismus' ", meint damit wohl eine Marktwirtschaft unter Aufsicht einer planwirtschaftliche Leitplanken durchsetzenden Politik und nähert damit gleichzeitig das fremdartige China emotional an.

Trotz großer Unterschiede der gesellschaftlichen Entscheidungsstrukturen und der zu bewältigenden Herausforderungen bildet die an Keynes orientierte Wirtschaftspolitik offenbar den gemeinsamen Nenner.

Im Westen führte die neoliberale Wende seit den 80er Jahren zu einem tendenziellen Machtverlust politischer Instanzen.

Mit anderen Worten hat der Westen laut Murawski den sicheren Pfad des Keynesianismus verlassen, wandelt nun auf gefährlichen neoliberalen Wegen, von denen es von vernünftigeren Chinesen wieder weggelotst werden könnte.

Diese Sicht enthält einige Unterstellungen. Erstens, das chinesische Wirtschaftsmodell sei im Wesentlichen das von Keynes, was teilweise zutrifft, etwa wenn man die immer wieder aufgelegten Konjunkturförderungsprogramme in Anschlag bringt, teilweise auch nicht, wenn etwa die Annäherung der Spielregeln des Finanzsektors an die nach-Big Bang-Standards in Betracht gezogen wird. Grob könnte man sagen, dass keynesianische Massnahmen in China gleichsam als der Gips betrachtet werden, der nach einem Beinbruch für eine kurze Zeit getragen werden muss, dann aber entfernt wird. Die chinesische Führung tendiert deutlich zu einer graduellen Übernahme neoliberaler Wirtschaftsweise. Wenn Murawski sagt, "die Einkommensdifferenzen in China" seien "weiterhin" gross, stellt er die Realität auf den Kopf. Diese sind in den letzten Jahrzehnten, wie anderswo auch, laufend gewachsen und tun es auch weiterhin.

Ein Abbau von Zöllen und anderen Restriktionen ist schon deshalb anzustreben, damit die Volkswirtschaft von globalen Produktivitätsfortschritten maximal profitieren kann.

Diese (syntaktisch leicht verunglückte) Aussage ist zwar durchaus im Keynes'schen Geist gemacht, liegt aber bezeichnenderweise im Bereich der Schnittmenge zwischen dessen Theorie und dem heutigen neoliberalen Globalismus und lässt daher an Murawskis Intentionen zweifeln. China als Retter Keynesianischer Wirtschaftsauffassung und damit Beförderer der Abkehr vom Neoliberalismus, von dem auch der Autor weiss, dass er eine ausgesprochen schlechte Presse hat, ist einfach nicht glaubwürdig. Zumal diese Konzeption völlig ausser acht lässt, dass die Entwicklung weg von Kenyesianismus, hin zum Monetarismus - der heute de facto nicht mehr beachtet wird - nicht arbiträr geschah, sondern aufgrund massiver Krisensymptome des kapitalistischen Systems, und die Vorstellung man könne einfach so wieder dahin zurückkehren, das inzwischen ins Zombie-Stadium befindliche Wirtschaftssystem schlicht ausblendet.

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