Ansicht umschalten
Avatar von
  • unbekannter Benutzer

mehr als 1000 Beiträge seit 10.01.2003

Re: Und wenn Russland "geschwächt ist" - was dann?

PippiLangstrumpf schrieb am 27.02.2023 12:05:

Niemand will nach Russland einmarschieren, niemand will Russland zerteilen. Wie sollte das auch funktionieren?

Ungefähr genauso, wie beschrieben. Man zerlegt am Reißbrett den russischen Staat so wie Afrika zu Kolonialzeiten, ungeachtet der Menschen, die da (noch) leben. Wäre ja auch aus westlicher Sicht nicht das erste Mal, dass man Grenzen nach belieben zieht, siehe "amerikanische Ureinwohner" oder Mexiko-Krieg.

Wenn Russland geschwächt ist, dann ist nicht damit gemeint, nur die Russen aus der Ukraine zu vertreiben ...

Nach Abzug aller russischen Truppen aus der Ukraine leben Europäer und Russen dann halt nebeneinander mit minimalen diplomatischen und wirtschaftlichen Kontakten.

Und auf welcher Grundlage basiert diese Idee?

Russland hat eine Bevölkerung von 140M Einwohnern, davon leben 80% oder so in Europa, also westlich des Urals. Das Land ist riesig, es hat gigantische Ressourcenvorkommen an allem, was denkbar ist - einfach, weil es praktisch unerschlossen ist in vielen Bereichen. Bisher war's unwirtschaftlich, weil der Ressourcenbedarf gedeckt wurde. Aber das muss (und wird) so nicht bleiben. Es würde also durchaus attraktiv sein, mit Russland diplomatische und wirtschaftliche Beziehungen zu erneuern, um über den Handel Zugriff auf diese Ressourcen zu erlangen, wahlweise als Rohstoffe oder als Halbzeuge, die wir in Europa weiterverarbeiten können.

Bevor was von "Abhängigkeiten von Russland" kommt: wir sind abhängig von China bezüglich nahezu allen Ressourcen inzwischen. Ein bisschen was kommt noch aus Indien und diversen afrikanischen Staaten. Wir bauen unsere gesamte Wirtschaft drauf auf, dass irgendwo auf der Welt für billiges Geld die begehrten Rohstoffe für uns aus'm Boden buddelt und dann für kleines Geld uns überlässt. Und das eben auf ein, zwei Säulen. Das gilt auch für Öl aus Saudi-Arabien, da kommt ja auch ein großer Teil unserer Treibstoffe her. Das ganze ist ein unglaublich wackeliges Gebäude, weil wenige Lieferanten und damit wenig Redundanz, wenig Ausweichmöglichkeiten ... kein vernünftiger Unternehmer zertifiziert nur EINEN Lieferanten, sondern immer MEHRERE.

Also wenn wir unsere Abhängigkeit von Russland senken wollen ist das eine Sache. Wenn man dafür umso abhängiger wird von anderen, von denen wir schon sowieso stark abhängig waren, dann ist das kein kluger Schachzug.

Lange Rede, kurzer Sinn: nach dem Krieg muss es wieder Richtung Aufbau gehen. Aufbau Ukraine. Aufbau diplomatische Beziehungen. Und vielleicht sollten wir nachdenken, bevor wir handeln: aktuell haben sich sämtliche Maßnahmen als Boomerang erwiesen, die nicht Moskau zum Einlenken zwangen, aber unsere Wirtschaft massiv schädigten. Die Kraft, die unsere Entscheider gegen Russland zu lenken gedachten, prallte auf uns zurück.

Vielleicht lieber mal schauen, ob wir uns die Partnerschaft mit Uncle Sam noch weiter erlauben können angesichts der massiven Flurschäden in den letzten paar Jahren? Und nein - nicht erst mit Washington brechen um dann bei Moskau zu betteln. Das haben wir als europäische Staaten nicht nötig, wenn wir uns auf unsere eigenen Stärken besinnen und eine von Innovationen und Merkantilismus geprägte Zukunft anstreben.

Bewerten
- +
Ansicht umschalten