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  • G. Garibaldi

379 Beiträge seit 24.11.2017

Was Interessantes zu Verantwortung und Haftung, gerade im Zusammenhang ...

... mit der Gleichschaltung innerhalb der aktuellen Diktatur:

Es ist gut und richtig, dass es kein Gesetz gibt, das Unterlassungssünden unter Strafe stellt, und dass kein menschlicher Gerichtshof dazu berufen ist, darüber zu urteilen. Doch ein ebenso glücklicher Umstand ist, dass es in der Gesellschaft noch immer eine Institution gibt, vor der es nahezu unmöglich ist, sich Fragen der persönlichen Verantwortung zu entziehen, eine Institution, vor der alle allgemeinen und abstrakten Rechtfertigungen – vom Zeitgeist bis zum Ödipuskomplex – zusammenbrechen, vor der nicht Systeme oder Tendenzen oder die Erbsünde beurteilt werden, sondern Menschen aus Fleisch und Blut wie du und ich, Menschen, deren Taten menschliche Taten sind und die dennoch vor Gericht stehen, weil sie gegen Gesetze verstießen, deren Aufrechterhaltung wir für die Integrität unserer menschlichen Gemeinschaft als wesentlich erachten. Juristische und moralische Fragen sind keinesfalls dasselbe, doch in gewisser Weise verwandt, weil beide Urteilskraft voraussetzen.
(...)
Problematisch war das neue Regime damals lediglich wegen der Komplexität der Vereinnahmung, darunter das Eindringen der Kriminalität in den Bereich des Öffentlichen. Ich glaube, wir waren sogar auf die Folgen eines rücksichtslosen Terrors vorbereitet und hätten jederzeit zugestimmt, dass diese Art von Angst aus den meisten Menschen Feiglinge macht. Dies alles war also schrecklich und gefährlich, warf aber keine moralischen Probleme auf.

Die Frage der Moral tauchte erst mit dem Phänomen der Gleichschaltung auf, weniger aus einer sich aus Angst speisenden Heuchelei, sondern mehr aus diesem sehr früh an den Tag gelegte Eifer, nur ja nicht den Zug der Geschichte zu verpassen, und mit diesem sich manchmal über Nacht vollziehenden Gesinnungswandel, der die große Mehrheit der öffentlichen Personen quer durch alle Schichten und Berufe erfasste, während lebenslange Freundschaften mit unglaublicher Leichtigkeit aufgekündigt und abgebrochen wurden. Kurz gesagt, was uns verstörte, war nicht das Verhalten unserer Feinde, sondern das Verhalten unserer Freunde, auch wenn sie für das, was geschehen war, eigentlich nichts konnten; sie waren nicht verantwortlich für die Nazis, sondern nur von deren Erfolg beeindruckt, und sie waren unfähig, ihr eigenes Urteil gegen den, wie sie es sahen, Urteilsspruch der Geschichte zu setzen.

Ohne diesen fast vollständigen Zusammenbruch, weniger der persönlichen Verantwortung als vielmehr des persönlichen Urteilsvermögens in den Anfangszeiten des Nationalsozialismus, kann man unmöglich verstehen, was tatsächlich später geschehen ist.
(Hannah Arendt, Was heißt persönliche Verantwortung in einer Diktatur?)

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