Ansicht umschalten
Avatar von Pnyx (1)
  • Pnyx (1)

mehr als 1000 Beiträge seit 01.07.2017

Panikmacher Neuber

Das bislang schnellste Verfahren absolvierte ein Vakzin gegen die Kinderkrankheit Mumps, doch selbst dabei brauchten die drei Studienphasen bis zur Zulassung vier Jahre.

An diesem Satz zeigt sich expemplarisch, wie man mit einseitigen Bemerkungen Stimmung in die gewünschte Richtung machen kann. Vor diesem Satz kommt die Angabe, es daure im Schnitt 10,83 Jahre bis zur Zulassung einer neuen Impfung. Selbstverständlich macht sich Neuber nicht die Mühe, Gründe dafür anzugeben und erzeugt so den Eindruck, diese Zeitdauer sei medizinischen Zwängen geschuldet. Das verkürzt die Realität beträchtlich. In diese Durchschnittszahl sind auch Fälle eingegangen, in denen erst ein nachträglicher grundsätzlicher medizinischer Durchbruch zum Erfolg führte. All diese Fälle müsste man also aus der Berechnung streichen, da dies im Fall SARS-CoV-2 nicht der Fall ist. Im Gegenteil, man kommt offensichtlich mit ganz unterschiedlichen Ansätzen zum Ziel.

Der wesentlichste, von Neuber nicht erwähnte Unterschied ist die überragende globale Motivation und die daraus resultierende Bereitstellung ökonomischer und personeller Mittel, die es in diesem Fall gibt. Diese ist absolut beispiellos, um Grössenordnungen höher, als in jedem anderen Fall. (Mit Ausnahme von HIV, wo aber der nötige grundsätzliche Durchbruch bisher nicht erfolgt ist.) An die 200 bestens mit staatlichen Mitteln ausgestattete Forschungsgruppen sind an der Arbeit. Auch der mRNA-Ansatz wurde nicht neu entwickelt, sondern war in diversen anderen, mit weniger Aufwand betriebenen Projekten weit fortgeschritten.

Die Mumps-Impfstoffentwicklung nun geschah in einer anderen Zeit, vor ca. 70 Jahren. Den damaligen medizinische Wissensstand mit dem heutigen zu vergleichen, ist absolut unsinnig. Neuber macht das implizit.

Die 'Teleskopierung' der drei Erprobungsphasen als grundsätzlich gefährlich anzusehen, ist willkürlich. Auch wenn in den Phasen 1 und 2 noch adverse Ereignisse auftreten würden, während die Phase 3 schon läuft, würde das selbstverständlich zum Abbruch der Phase 3 führen. Ein potentiell erhöhtes Risiko haben also nur die Testpersonen. Um Neubers Bedenken zu unterfüttern, müsste man frühere Fälle anführen, bei denen in der Tat Phase 1, am Tiermodell, und Phase 2-Tests, mit kleinem menschlichem Sample, erst nach sehr langer Zeit Probleme auftraten. Ich bezweifle, dass es solche Fälle gibt, grundsätzliche Unverträglichkeiten zeigen sich üblicherweise recht schnell.

Die Gesamtdauer einer Impfstoffentwicklung sagt andererseits wenig bis nichts darüber aus, inwieweit adverse Wirkungen des Impfstoffes, die langfristig auftreten, ausgeschlossen werden können. Sie kommt nicht deswegen zustande, weil man nach jeder Testphase eine lange Beobachtungsphase einlegt. Auch ist wohl kaum je gründlich sichergestellt worden, dass alle Spezialfälle - Alter, Geschlecht, Schwangerschaft, Vorerkrankungen etc. - in den Testsamples berücksichtigt wurden. Mit anderen Worten, die von Neuber angelegten Massstäbe sind wohl noch bei kaum einem Impfstoff je eingehalten worden.

Daher bleibt bei einem Impfstoff stets ein Restrisiko, das allerdings in der Anfangszeit, als noch abgeschwächte Lebendviren eingesetzt wurden, ungleich grösser war. Es gibt keinen rationalen Grund, im aktuellen Fall von einem für die zu Impfenden höheren Risiko auszugehen, als bei irgendeiner anderen frisch entwickelten Impfung. Zumal nun alle öffentlichen Scheinwerfer auf die Vorgänge gerichtet sind und es sich daher weder die beteiligten Firmen, Forschungsinstitute, noch die Zulassungsbehörden leisten können, nicht maximal mögliche Vorsicht walten zu lassen. In diesem Zusammenhang muss auch erwähnt werden, dass ein chinesischer Impfstoff schon über 1 Million Mal verimpft wurde.

Besonders fragwürdig erscheint mir die Hervorhebung der Rolle von Bill Gates. Ich hab den Mann als Urheber des nicht gerade perfekten Windows-Betriebssystem schon oft verflucht, er gehört zu den obszön Reichen und ist deshalb auch für mich ein wandelndes Feindbild. Aber wenn es ums Impfen geht, ist nun mal er es, der seit langem auf kommende Bedrohungen hinweist und mit GAVI bei aller Kritik am privatwirtschaftlichen Ansatz in vielen Ländern wichtige Impfkampagnen unterstützt hat. Es gibt in diesem Zusammenhang - in anderen schon - keinen Grund, ihn an irgendeinen Pranger zu stellen. Auch Neuber weiss um die Aluhut-affinen Theorien, die von politisch prekärer Seite gegen ihn vorgebracht werden. Indirekt unterstützt er das und das ist ihm vorzuwerfen.

Das Konzept Impfen hat in der jüngeren Geschichte der Menschheit Millionen und Abermillionen Menschen das Leben gerettet, über alles gesehen ist seine Bilanz überaus positiv. Das heisst nicht, dass man staatlichen Zwang anwenden soll. Dagegen wende ich mich. Aber in einer Situation, in der täglich offiziell rund 10'000 Menschen sterben, die Einführung einer Impfung aufgrund vager, konkret unfundierter Befürchtungen verzögern zu wollen, halte ich für im höchsten Mass unverantwortlich.

Das Posting wurde vom Benutzer editiert (01.12.2020 16:38).

Bewerten
- +
Ansicht umschalten