Ich mag den Argumentationsversuch, er ist ein für ausgemachte Laien lesenswerter Diskussionsbeitrag -- aber er ist dennoch durchsetzt von Arbitrarität und weitgehend non sequitur. So wird etwa behauptet:
COVID-19 ist eine neue Krankheit, dementsprechend müsste die steigende Anzahl an COVID-19-Intensivpatienten eigentlich zu den für diese Jahreszeit ansonsten typischen Krankheiten auf Intensivstation hinzukommen (außer man würde zugunsten von COVID-19-Intensivpatienten andere Intensivpatienten auf die Normalstation verlegen).
Diese Folgerung ist, in Kombination mit den Daten, falsch. Die überlastungsrelevante Anzahl von Intensivpatienten ergibt sich nicht einzig aus der Anzahl belegter Intensivbetten, sondern eben zusätzlich aus der gemittelten Dauer der Intensivbettbelegung. Ein hypothetisches Szenario: Stürben jeden Tag 99% aller Intensivpatienten und würden aber all die leergewordenen Betten flugs wieder aufgefüllt, so wäre der diachrone Durchsatz bei gleicher Bettenbelegungszahl zu den jeweiligen querschnittlichen Erhebungen je Zeitpunkt deutlich höher, und auch die Anzahl der Intensivpatienten über eine (längere) Zeitspanne wäre massiv höher. Obwohl sich aus der Anzahl der belegten Intensivbetten pro Zeiteinheit keinerlei sichtliche Mehrbelastung ergäbe -- und auch keine Änderung hinsichtlich gesundheitlicher Gefährdung. Obzwar letztere ganz massiv wäre -- und freilich auch die Belastung bei steten Wechseln enorm wäre. Die richtige Größe wäre die Anzahl der eindeutigen Intensivpatienten, nicht die Belegung von Bettplätzen.
Und so geht es in einem fort. Nett im Ansatz, aber hochgradig selektiv und augenscheinlich deutlich zu undurchdacht. Für Pädagogik mag das reichen, für schwerwiegendere Fragen ist eine solche Analyse (die an vielen Ecken unstimmig und uninformiert ist, aber immerhin schön kritisch geprägt und von guten Grundgedanken getragen) hingegen unzureichend. Es ist schade, dass sich manche Leute nicht hinreichend über die Bedeutung der Zahlen, mit denen sie hantieren, klarwerden. Also: Ein netter Versuch, wissenschaftlich angehaucht und für meine Begriffe sehr schön krittelnd, aber leider in der Realisierung eine glatte 5. Ausgesiebt im ersten Methodiksemester.
Ich hatte aber ohnehin eigentlich mit mehr »Echsenmenschen«-Vorkommen im Text gerechnet. Und war ein wenig enttäuscht.
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (01.11.2020 21:08).