Aus Hannes Maeder, Sprache und Totalitarismus (1964):
"Es ist seit langem bekannt, dass enge Beziehungen zwischen Sprache und Staat
bestehen; hat doch schon Aristoteles mit dem ihm eigenen Klarblick erkannt, daß der Mensch seinem Wesen nach ein zoon logon echon (ein sprechendes Wesen) und zugleich ein zoon politikon (ein in staatlicher Gemeinschaft lebendes Wesen) sei. An der gleichen Stelle deutet er auch an, wie Sprache und Staat zusammengehören. »Die Sprache«, sagt er, »dient dazu, offenbar zu machen, was nützlich und schädlich, gerecht und ungerecht
ist. . . . Das gemeinsame Bewußtsein davon aber schafft erst Haus und Staat.« In der Sprache sind also die Maßstäbe festgelegt, die für das Leben der Gemeinschaft gültig sind.
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Ein Staat, der die Ordnung der Worte angreift, greift die Grundlage seiner eigenen Existenz an. Genau das geschieht im Totalitarismus.
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Ist es zu viel gesagt, wenn man hier von einer Zerstörung der Logik oder von
einer systematischen Narkotisierung des logischen Gewissens spricht? Die formale Logik muß zerstört werden, damit die Dialektik den Thron besteigen kann. Entkleidet man aber diese Dialektik ihrer täuschenden Hüllen, dann kommt ihr wahres Wesen zum Vorschein. Sie ist eine neue Form der alten Sophistik . Was die alten Sophisten mit Hilfe der Sprache zu vollbringen sich rühmten, nämlich »die schwächere Seite durch ihre Redekunst zur stärkeren zu machen«, das erreichen die kommunistischen Machthaber unserer
Zeit mit ihrer Dialektik.
Zerstörung der Logik aber ist eine ernste Sache. Wenn Gewehr nicht mehr gleich Gewehr, Friede nicht mehr Friede, Recht nicht mehr Recht ist, verlieren die Menschen das Vertrauen in die Sprache und das Vertrauen zu einander. Sie beginnen das Wort zu fürchten, weil es ihnen im Munde verdreht und gegen sie als Waffe verwendet werden kann. Sie werden zu verzweifelten Redehassern (P l a t o , Phaidon!) und damit zu einsamen, oder richtiger: verlassenen Wesen. Und gerade als solche furchtsame, verzweifelte Verlassene verfallen sie der totalitären Herrschaft am leichtesten.
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Ein drittes Kennzeichen ideologischen Denkens und Redens endlich ist seine Gleichförmigkeit. Da es alles über den schmalen Leisten der Ideologie schlagen muß, ergibt sich daraus eine Verarmung der Sprache, ein Grau in Grau, das nur durch die versteckte oder hervorbrechende Affektivität und Gewalttätigkeit Leben erhält.
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Lassen wir ein Dichterwort unseren Weg erhellen: »Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.« Wir haben zwar gesehen, daß die Sprache des Totalitarismus eine kranke Sprache ist; befallen vom Bazillus der dialektischen Begriffsverdrehung, überschwemmt von maßlosen, künstlich gezüchteten Affekten, ausgeliefert einem starr-dualistischen Wertsystem und mit aller Gewalt in die Einheit gezwungen, gleichsam in die Uniform gesteckt. Und doch gilt es zu bedenken: Die Parteisprache kann trotz aller Propaganda, Agitation und Gleichschaltung nie die Sprache des Volkes sein. Des weiteren: In der deutschen Sprache, ihrem Schrifttum, ihrer Geschichte lebt ein von vielen Generationen in Jahrhunderten erarbeiteter Schatz von Worten und Werten, der weder mit dem ärmlichen Instrument einer sophistischen Dialektik noch mit bloßer Gewalt zerstört werden kann. Wer glaubt, er könne die Sprache völlig zum Werkzeug seiner ideologischen Politik herabwürdigen, gleicht dem Manne, der den Ast absägt, auf den er sich gesetzt hat.
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Wenn man an die Macht des Geistes und der Wahrheit glaubt, kann man auch angesichts der gewaltigen Machtentfaltung des Totalitarismus nicht verzweifeln, ... Der Totalitarismus
erhebt bekanntlich für seine Ideologie den Anspruch der Wissenschaftlichkeit.
Wir wissen, wie es damit steht: Ideologie ist Glaube; genauer: Aberglaube.
Ideologische Wissenschaft ist Pseudowissenschaft."
Vom Leibniz-Institut für deutsche Sprache Uni Mannheim:
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