Der ökonomische Erfolg und die politische Stabilität des kapitalistischen Gemeinwesens vollziehen sich in einer Form, in der die konkurrierenden Erwerbsbürger lauter Rechte gegeneinander und im Verhältnis zum Staat ausüben. [...]
Auch ihre freie Zeit ist der Instandhaltung für den Dienst an fremdem Eigentum untergeordnet, und ihr privater Konsum verwandelt dessen Warenangebot in Geld.
Seit etwa einer Woche ist die RTL Group, also Bertelsmann, in n-tv und rtl permanent dabei, Werbung für inner- und außerdeutschen Tourismus in Form von "Nachrichten" zu machen. Auf dem Höhepunkt der ersten Covid-Woge gab es in D-Land gut 38.000 Neuinfektionen in KW 14 und knapp 1.600 Tote in KW 16. Vergangene Woche waren es gut 125.000 Neuinfektionen und gut 1.600 Tote - aber die mediale Hauptmessage scheint nichtsdestotrotz zu sein: Pandemie ist so gut wie vorbei, Geimpfte und "Genesene" sind ja quasi immun und sollten demnächst mal wieder anständige Orgien in den Tempeln des Konsumismus feiern - auch wenn ja aus den Studien klar ist, dass sie im Einzelfall sowieso nicht immun sind, Reinfektionen möglich und Mutationen gegebenenfalls fähig, so ziemlich allen aufgebauten Immunschutz zu umgehen (siehe z. B. https://myorthoevidence.com/Blog/Show/126?vgo_ee=s2oiXrKrkTakIjfIrnJ2PtE%2BkBUIVIipeuvLV6m8%2BDA%3D).
Einerseits mag die Urlaubs-Werbetrommel Reaktion auf die Pandemiemüdigkeit sein, die Leute sollen bei Laune gehalten und so befriedet werden, wer weiß, die "Journalist_innen" wollen sich vielleicht selbst bei Laune halten und befrieden. Bedeutsamer aber dürften, wie stets, ökonomische Interessen sein. Wie viel Kohle hatte der deutsche Staat den großen Reisekonzernen gleich nochmal in den Rachen geworfen? Fällt eine zweite Urlaubssaison aus, gehen wie viele Kapitale bankrott? Spitzen sich wie die Widersprüche in der Konstruktion der EU dadurch zu, dass südeuropäische Länder eine zentrale Einnahmequelle missen müssen?
Ob Querdenker_innen jetzt demonstrieren oder nicht, ist ja mehr oder weniger systemisch irrelevant. Ob sie hier die Foren zumüllen noch mehr. Viel relevanter ist, dass diverse Kapitalfraktionen, die mindestens tendenziell too big to fail sind, mit einem weiteren Jahr der Pandemie dem Bankrott näher rücken - beängstigend für Teile des Großbürgertums wie für die Staatsbürokratie, insofern die Abgründe, in die Schäuble im Kontext der Subprime-Krise schaute, sich gähnender auftun. Damit durchaus auch beängstigend für alle: Systemcrash ist selten 'ne lustige Sache.
Statt den Querdenker_innen vorzukauen, was sie ja ohnehin nicht hören wollen, dass die Pandemie nicht bloß eine Fiktion ist und dass eine Kritik an Staat und Kapital lächerlich ist, wenn sie sich bloß an aktuellen Dynamiken reibt, aber zur Barbarei von Staat und Kapital von gestern liebend gern zurückkehren möchte, sollten wir sie vielleicht lieber mal damit konfrontieren, dass sie wie Lindner reden, dass sie ganz offensichtlich die Interessen relevanter Teile des Großkapitals in dem Atemzug vertreten, in dem sie glauben, sie würden irgendwie ihre kleinbürgerlichen Interessen vertreten.
Wäre es z. B. mal möglich aufzuzeigen, warum Bertelsmann Touri-Werbung gerade voll wichtig findet und dafür die Pandemie schon einmal für quasi vorbei erklärt?
Ansonsten hielte ich es für sinnvoller, den Trotzkist_innen beizuspringen (vgl. z. B. https://www.wsws.org/de/articles/2021/04/24/pers-a25.html), anstatt sich mit Leuten rumzuschlagen, die die Realität noch dann verleugnen würden, wenn sie am Sauerstoffgerät verreckend bloß um ihre falsche Fetischidentität besorgt wären: mein Hauskredit, mein Klein-Investment, mein Job/meine kleine Selbständigkeit.