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  • fr.osch

mehr als 1000 Beiträge seit 25.01.2000

"Von Merkel bestellte Virologen haben jedoch ganz andere Vorstellungen"...

Äh, ja, und welche wären das? Das wird leider nicht ausgeführt, es hätte mich echt interessiert. Man erfährt einfach nicht, welche Virologen genau das sein sollen, die Merkel da "bestellt" hat.

So bleibt das Ganze nur ein Geraune. Das verstärkt wird durch den Satz: "Nun müsste dringend eine neue Bedrohung her, um die Einschränkungen weiter deutlich verlängern oder verschärfen zu können, ohne die Zustimmung der Wähler zu verlieren." Wem darf man den zuschreiben? Wohl dem Autor. Der offenbar überzeugt ist, dass das alles eine willkürliche Inszenierung ist.

Also Geraune, Unterstellungen, düstere Szenarien, denen noch Mutmaßungen beigemengt werden. Insgesamt eher gehaltlos.

Aber ja, alles total schwerwiegend. "Diese [die Kanzlerin] schloss kürzlich auch Grenzschließungen nicht aus, um hochansteckende Virusmutanten abzuhalten." Natürlich nicht, warum sollte sie, wer weiß, was noch kommt? Aber beschlossen ist das natürlich auch nicht. Was bedeutet das also? Nichts, richtig.

Natürlich werden auch noch Argumentationsfetzen von Virologen eingestreut. Ob die von Merkel bestellt wurden? Man weiß es nicht.

Dass No-Covid ein schönes Ziel wäre, weil wir dann eine Welt ohne Covid-19 hätten, wir also uneingeschränkt zu unserer Lebensweise vor dem Auftreten der Pandemie zurückkehren könnten, wird dann auch als Bedrohung gesehen, weil da ja Maßnahmen erforderlich sind, deren Wirksamkeit, "zumindest in Relation zu den Schäden, die sie anrichten", "nun immer mehr in Frage gestellt" wird.

Dass das Papier auch von z. T. sogar mehreren Medizinern, Pädagogen, Juristen, Soziologen, Physikern, Politikwissenschaftlern und Ökonomen mit verfasst wurde, aber nur von einer Virologin, wird denn auch geflissentlich ignoriert. Weil man ja sonst nicht so schön über die bösen Virologen schimpfen könnte, die Merkel "bestellt" hat.

Die aus dem Kontext gerissene und verdrehte Behauptung, der Lockdown mit seinen Einschränkungen könne auch als Ressourcen-Faktor gesehen werden, wird durch einen einschlägigen Kolumnisten verstärkt.

Tatsächlich steht da eine Binsenweisheit: "Die Nähe und Enge des Lockdowns ist entgegen der allgemeinen Meinung kein Risikofaktor als solcher, sondern stellt sich abhängig von der Ausgangssituation als Risiko- oder sogar als Ressourcen-Faktor dar."

Es wird also schlicht eine differenzierte Sicht gefordert - hier "abhängig von der Ausgangssituation", also keineswegs pauschal. Und es geht um den Unterschied zwischen Risiko und Ressource. In den Wirtschaftswissenschaften eine gängige Sicht auf Krisen aller Art, oder auch in der Lebensberatungsliteratur gerne genutzt ("Krise als Chance"). Aber hier ist es plötzlich... "ein in seiner Abgehobenheit und Arroganz atemberaubender Satz". Warum, bleibt offen. Aber natürlich, ist ja nur eine Meinung. Die ist zwar frei, aber gleichwohl nutzlos. Welche Sicht denn besser wäre, bleibt offen.

Worum es den Autoren geht, machen sie gleich im Anschluss klar: "Familien in Risikokonstellationen können und sollten durch soziale Infrastruktur und gezielte Gegeninterventionen aktiv und präventiv unterstützt werden." Ist das jetzt schlecht? Soll man da nicht unterstützen? Weil das ja doch nur Abgehobenheit und Arroganz ist? Oder was?

Der "in seiner Abgehobenheit und Arroganz atemberaubender Satz" steht sowieso nur im Kapitel "Mythos: Schließung von Schulen ist belastender für Kinder und Familien als ihre Offenhaltung" und bezieht sich auch nur auf diesen einen Aspekt. Dieses Kapitel ist denn auch nur ein Abschnitt im Anhang und betrifft keineswegs den Kern des Papiers, hat mit dessen Kerngedanken also bestenfalls indirekt zu tun.

Mit echten Argumenten wird denn auch dafür geworben, Schulen nicht leichtfertig zu öffnen: "Bei hoher Inzidenz und geöffneten pädagogischen Einrichtungen kommt es zu häufigen Quarantänemaßnahmen, die in ihrer psycho-sozialen Wirkung auf Familien als stärker einzuschätzen sind als ein strukturierter und mit einem Ziel und Sinn versehener Lockdown. Ca. 25-30% aller Familien erleben einen sehr kritischen Quarantäne-Verlauf (Ergebnis eines internationalen Umbrella-Reviews (dort sogar Tendenz zu 33-35%) als auch einer aktuell noch laufenden Monitoring-Studie an der FFH Düsseldorf)." Ist das jetzt verwerflich, das zu berücksichtigen? Warum?

Aber ja, das ist Abgehobenheit und Arroganz, ganz klar. Das ist übrigens der Beweis für den Kolumnisten, dass Deutschlands Linke autoritär ist. Zu dieser Linken zählt er natürlich die CDU mit Merkel.

Der Kolumnist lügt denn auch unverhohlen: "Alle, die über 65 Jahre alt sind (das sind 18 Millionen Deutsche), müssen weder um ihren Arbeitsplatz noch um ihr Einkommen bangen, egal, wie lang und hart der Lockdown am Ende sein mag." Das ist natürlich Quatsch. Auch so alte Menschen haben Aktien, besitzen Unternehmen, sind Vermieter, oder arbeiten noch. Auch die Renten entwickeln sich anhand der Löhne. Und viele von ihnen haben jüngere Angehörige. Und auch ansonsten gefällt sich der Kolumnist mit Hetze und Schwarzmalerei, natürlich immer gegen alles Linke.

Da wird denn der Wunsch einer anderen Kolumnistin, das Papier würde zügig umgesetzt, gleich zu Kommando und Befehl umgedeutet... klar, sonst hat man ja wieder keine autoritären Linken, und die muss man sich ja hier unbedingt herbeibasteln.

Dabei werden im Papier ja auch viele grundrechtliche Probleme beschrieben: "Eine reine Lockdown-Strategie ohne ausreichend wirksames Maßnahmenpaket wird den grundgesetzlichen Verpflichtungen des Staates gegenüber seinen Bürgern nicht gerecht."

Oder hier: "Die aktuelle Schieflage der Grundrechtsbetroffenheit diverser Grundrechtsträger (u.a. Artt. 1, 2, 4, 12, 14 GG) im Lockdown muss zügig aufgelöst werden."

Ist das jetzt auch wieder Abgehobenheit und Arroganz? Man wird nicht schlau draus. Angeblich sind es autoritäre Linke, die sich dann aber um die Grundrechte sorgen.

Der Kolumnist behauptet denn auch gleich: "Wie die neue postpandemische Gesellschaft aussehen soll, ist erst in Umrissen erkennbar, aber dass es eine Gesellschaft sein wird, in der die Eigentumsgarantie nur noch begrenzt gilt und die Profitlogik ausgehebelt ist, das gilt als ausgemacht."

Das sind dieselben autoritären Linken, die sich (siehe oben) um den Schutz der Rechte nach Art. 14 GG sorgen ("Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet."). Aber nein, das ist kein Widerspruch, weil... öhm, ja, warum genau jetzt?

Schade, dass solche Sachen nicht im Artikel beleuchtet werden. Der bleibt an der Oberfläche mit Geraune und ein paar zusammenhanglosen tendenziösen Informationsfetzen, die offenbar willkürlich zusammengestellt wurden, um eine bestimmte Stimmung hervorzurufen. Ausgewogen ist das nicht, aber das will es wohl auch gar nicht sein.

fr.osch

Das Posting wurde vom Benutzer editiert (24.01.2021 03:29).

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