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  • Adrian_E

mehr als 1000 Beiträge seit 27.11.2016

"Groteskes Missverhältnis" - Ignoranz des Autors bezüglich Risikomananagement

"Gleichwohl herrscht eine seltsame Risikowahrnehmung vor. 62 Prozent haben vor der Grippe weniger Angst als vor dem Corona-Virus, obgleich in der jetzigen Grippesaison seit September 2019 alleine in den USA um die 8200 Menschen gestorben sind und 15 Millionen infiziert wurden. Das ist ein groteskes Missverhältnis."

Absurd erscheint mir hier eher das primitive Verständnis von Risikoabschätzungen, das der Autor an den Tag legt.

Sicher ist aktuell die Anzahl der Toten des Corona-Virus noch weit unter derjenigen der jährlichen Todesfälle wegen der normalen Grippe. Aber in den letzten Tagen ist die festgestellte Zahl der Infizierten und der Toten wegen des Corona-Virus stark gestiegen. Für plausible Schätzungen darüber, wie groß diese Zahl bis zu dem (bisher noch nicht bekannten) Zeitpunkt, wenn sich die Krankheit nicht mehr weiter ausbreiten wird, sein wird, gibt es einen weiten Bereich. Es liegt im Bereich des Plausiblen, dass die Zahl der Corona-Opfer weit unter derjenigen der Grippeopfer sein wird, aber es ist eben auch nicht so unwahrscheinlich, dass die Zahl weit darüber liegen wird.

Die Mortalität scheint beim Corona-Virus nicht außerordentlich groß zu sein. Aber es gibt Hinweise, dass es schwierig sein könnte, seine Ausbreitung zu stoppen. Im Vergleich zu ähnlichen Krankheiten, breitet sich dieses Virus relativ stark aus, und es scheint so zu sein, dass es ansteckend sein kann, bevor es feststellbare Symptome ausgelöst hat. Dann wäre die Wahrscheinlichkeit nicht so gering, dass trotz nicht so hoher Mortalität aufgrund der möglicherweise großen Verbreitung die Zahl der Opfer groß werden könnte. Ein anderes Thema ist, ob das Virus wie das der Spanischen Grippe so mutieren könnte, dass die Mortalität zunimmt. Bisher gibt es keine Hinweise darauf, dass dies geschehen ist, und es ist sicher relativ wahrscheinlich, dass es weiterhin nicht geschehen wird, aber es kann sicher nicht in den Bereich des sehr Unwahrscheinlichen verbannt werden, dass das doch noch geschehen wird.

Die Äußerungen von Florian Rötzer über ein angeblich "groteskes Missverhältnis" verraten vor allem eine komplette Ignoranz des Autors im Bereich Risikomanagement. Man kann sicher nicht einfach die Zahl der Opfer eines neu aufgetretenen Virus zu einem relativ frühen Zeitpunkt der Ausbreitung (zu einem Zeitpunkt, an den unwahrscheinlich ist, dass bereits das Maximum der Ausbreitung erreicht wurde) nehmen und in ein Verhältnis zu den jährlichen Opfern von schon lange verbreiteten Krankheiten setzen.

Selbst wenn man aufgrund der verfügbaren Daten zum Schluss kommt, dass mit über 50% Wahrscheinlichkeit die Zahl der Corona-Opfer unter derjenigen der jährlichen Grippe-Opfer sein wird, könnte man die übrigen etwas weniger als 50% offensichtlich nicht ignorieren. Zum aktuellen Zeitpunkt wird kaum jemand eine seriöse Prognose abgeben können, dass die Wahrscheinlichkeit, dass die Folgen des Corona-Virus deutlich schlimmer sein werden als die jährlichen Folgen der Grippe, sehr gering ist.

Also muss bezüglich der zu empfehlenden Maßnahmen eine seriöse, rationale Herangehensweise die Möglichkeit, dass die Folgen des neu aufgetretenen Virus auch deutlich schlimmer sein könnte als seit langer Zeit regelmäßig auftretenden Krankheiten, relativ stark gewichten.

Florian Rötzers Vorgehen, einfach einen Snapshot der Zahlen der Infektionen und Todesopfer eines neu auftretenden Virus zu einem Zeitpunkt, der wahrscheinlich noch relativ früh ist, zu nehmen und in einen Bezug zu jährlichen Opfern schon lange existierender regelmäßiger Erkrankungen zu setzen, ist hingegen unseriös und irrational.

Das Posting wurde vom Benutzer editiert (28.01.2020 13:17).

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