Ich denke, Sie möchten mich gerne missverstehen. Der ganze Spaß hat in meinen Augen drei Komponenten: eine medizinische, eine juristische/legislative und eine soziale.
Die juristische/legislative ist allein handwerklich so katastrophal, dass ich es kaum fassen kann. Und nein, ich bin kein Jurist. Der Gesetzgeber hat sich durch gefühlten öffentlichen Druck zu Änderungen im IfSG hinreißen lassen, die ich für klar verfassungswidrig halte. Sie mögen das anders sehen. Wie dem auch sei: Wir haben es hier de facto mit Notstandsgesetzen zu tun. Notstände sollten nicht leichtfertig ausgerufen werden und wenn man es tut, sollte man schon eine Exit-Strategie in der Tasche haben. Mir scheinen hier die Maßstäbe komplett verrutscht zu sein. Nach meinem Dafürhalten zeichnet sich ein Notstand dadurch aus, dass er gesellschaftliche Belastungen und Verwerfungen auslöst, die im "Regelbetrieb" nicht mehr beherrschbar sind. Das Notstandsgesetz dient dann dazu, diese Belastungen so gut wie möglich auf ein handhabbares Maß zu drücken. Nicht weniger, aber auch nicht mehr.
Bei einer Seuche, und das ist dann die medizinische Komponente, heißt demnach die Leitfrage: "Ist davon auszugehen, dass unser Gesundheitswesen auf Basis der vorliegenden Daten und der wahrscheinlichen Prognosen, die zusätzliche Belastung im Regelbetrieb miterledigen kann?" Sobald die Antwort auf diese Frage ein "Ja" ist, hat sich das Thema Notstand umgehend erledigt. Darüber kann und muss man streiten. Dafür muss man nach besten Möglichkeiten valide Daten erheben. Auch über diese kann und muss man streiten. Auch medizinisch scheint mir der Maßstab verrutscht. Primäres Ziel kann nicht sein, möglichst viele Infektionen zu verhindern. Ziel, so der Notstand erkannt wird, muss sein, die Infektionen auf ein für das Gesundheitswesen handhabbares Maß zu drücken.
Die dritte Komponente ist die soziale, von der ich den Eindruck habe, dass Sie sie komplett ausblenden. Das reicht von den Nebenwirkungen aller Interventionsmaßnahmen (vom Verschieben von Operationen bis zur Schließung von Geschäften) bis zu der Tatsache, dass es sich bei der Regierung nicht um einen Schäferhund handelt, der um das Herdenvolk panisch herumspringt. Menschen handeln nicht immer rational. Je nach Lage kann es tatsächlich notwendig sein, auch mit Freiheitseinschränkungen zu arbeiten. Was mich stört ist die Pauschalität, in der das allenthalben abgenickt wird, und die Alternativlosigkeit, mit der uns das Regierungshandeln präsentiert wird. Ich glaube fest daran, dass die allermeisten Menschen einen gesunden Selbsterhaltungstrieb haben. D.h. im Angesicht einer drohenden Gefahr, werden sich die allermeisten geeignet schützen. Wir haben das im Februar/März 2020 gesehen, als die Mobilität sank, bevor regierungsamtliche Einschränkungen kamen. Entsprechend entspannten sich die Leute wieder als sie erkannten, dass die unmittelbar drohende Gefahr doch nicht so groß war. Ein soziales Gefüge in der Größenordnung eines Nationalstaates lässt sich nicht so mechanistisch steuern wie Sie das gerne hätten. Wenn Sie als Regierung die Leute nicht mitnehmen -- und wir haben das durch immer abstrusere Verordnungen wirklich verbockt -- ist am Ende alles nur noch Show. Die Leute "machen mit", aber nur pro forma, weil es der einfachere Weg ist.
Die reale Gefahr, die ich hier sehe, ist nicht die Seuche. Die haben wir ganz anständig im Griff primär durch die Impfungen. Was mir Sorgen macht, ist die Perpetuierung eines Ausnahmezustands auf der Basis willkürlicher Kenngrößen.