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  • Leser2015

478 Beiträge seit 19.11.2015

Unschuldige Frage zur deutschen Rechtsstaatlichkeit

Die vom IHME prognostizierte Horrorzahl ist wohl nicht völlig unrealistisch, doch wer in Deutschland ist eigentlich schuld an den aktuell (Stand: 17.1.2021) über zwei Millionen Covid-19-Infektionen sowie gar 46.419 Todesfällen (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Fallzahlen.html)?

Folgt man der zum Abschluss meines Kommentars unten umfangreich zitierten Argumentation eines bekannten Strafrechtlers, so fällt eine Covid-19-Infektion eben nicht zufällig vom Himmel, sondern sie wird durch sogenannte Ausscheider von Mensch zu Mensch übertragen, die sich in jedem Einzelfall genau deshalb schuldhaft verhalten müssen, da ihnen wie allen anderen Bewohnern Deutschlands ihr Gesundheitsstatus als potentielle Gefährder nach vielen Medienberichten nicht unbekannt sein kann.

Aufgrund der propagierten außergewöhnlichen Gefährlichkeit, die seit fast einem Jahr von einem völlig neuartigen Coronavirus ausgehen sollte, müssten somit aus juristischen Gründen bislang bereits rund zwei Millionen strafrechtliche Ermittlungsverfahren ausgelöst worden sein, die, versucht oder vollendet, unterschiedlich schwere Straftatbestände (etwa §§ 211, 212, 213, 222, 223, 227, 229 StGB) betreffen könnten, wegen deren Nichtverfolgung sich wiederum Staatsanwälte strafbar machten (§§ 258a, 339).

Kurzum, angesichts Zehntausender Covid-19-Todesopfer überrascht in einem Rechtsstaat gewiss das dröhnende Schweigen deutscher Rechtswissenschaftler in den Leitmedien, seien es nun Verfassungs- oder eben Strafrechtler. Und alle Coronamaßnahmenkritiker aus dem gesamten politischen Spektrum wären wohl gut beraten, für den gerechtfertigten Widerstand gegen viele Grundrechtseinschränkungen zunächst einmal die bestehenden Rechtsmittel kreativ, etwa auch über Strafanzeigen, auszuschöpfen.

Daneben schweigen auch die Leitmedien weitgehend zu der Problematik, wie man sich eigentlich im Alltag bei Polizeikontrollen im Rahmen der Coronamaßnahmen verhalten sollte, etwa welche Auskunft man verweigern dürfte, oder wie man sich gegebenenfalls gegen ein verhängtes Bußgeld wehren kann (z.B. herrschte in meinem Bekanntenkreis zeitweise Ratlosigkeit, ob man während dieser nächtlichen Ausgangssperre zwischen zwanzig Uhr und fünf Uhr morgens noch zu Lebenspartnern unterwegs sein darf; bei einem Lebenspartner ist dies ohne wichtigen Grund möglich, nicht dagegen bei Verwandten).

Und zum Abschluss meiner juristischen Verwirrungen jetzt noch ein längeres Zitat aus Spiegel-Online:

Coronavirus – Virus strafbar! – Eine Kolumne von Thomas Fischer (09.03.2020)
(...)
»Was für die Infektion mit HIV gilt, gilt daher im Grundsatz auch für die mit Ebola oder mit Coronaviren. Den Rechtsgütern Leib, Leben, Gesundheit oder Vermögen ist es egal, an welcher Infektion sie zugrunde gehen.
(...)
Wer als infizierte Person eine andere Person ansteckt, verwirklicht den objektiven Tatbestand der Körperverletzung (§ 223 StGB), und zwar, wenn die Krankheit beim Angesteckten ausbricht und zu körperlichen Beschwerden führet, in der Variante der "Misshandlung", jedenfalls in der Variante der "Gesundheitsbeschädigung". Denn auch wer "nur" infiziert ist, ohne (schwer) zu erkranken, ist nach richtiger Ansicht "an der Gesundheit beschädigt" – und sei es auch nur dadurch, dass er selbst hochinfektiös ist. An der Kausalität der konkreten Handlung (Niesen, Atmen, Berühren usw.) für die Infektion kann im Einzelfall ein Zweifel bestehen, weil nicht klar ist, von welcher konkreten Person eine Infektion verursacht wurde. Das ist aber eine alltägliche Frage von Versuch und Vollendung und für das Strafrecht kein Problem.

Entscheidend ist der sogenannte subjektive Tatbestand. So nennt man die innere Beziehung eines Täters zu den objektiven Merkmalen seiner Tat, und man unterscheidet hier zwischen "Vorsatz" und "Fahrlässigkeit", beide in verschiedenen Formen, auf die es hier aber nicht weiter ankommt. Wer weiß oder annimmt, dass er selbst infiziert ist, und wem es im Kontakt mit anderen gleichgültig ist, ob er diese ansteckt, handelt mit ("bedingtem") Vorsatz und begeht eine vorsätzliche Körperverletzung. Darauf steht Freiheitsstrafe bis fünf Jahre; wenn der Täter annimmt, die Infektion sei lebensgefährlich, bis zehn Jahre. Falls der Infizierte entweder aufgrund von Nachlässigkeit nicht weiß, dass er infiziert ist, oder die Infektion einer anderen Person aufgrund mangelnder Sorgfalt versehentlich verursacht, ist das eine "fahrlässige Körperverletzung" (§ 229 StGB); sie wird immerhin mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft. Sie können, verehrte Leser, diese Straftat begehen, indem Sie, wenn Sie selbst infiziert sind, in der Öffentlichkeit herumniesen, anderen die Hände schütteln oder sich überhaupt unter Menschen aufhalten.

Es geht aber natürlich noch mehr: Fall Sie irrtümlich annehmen, Sie seien infiziert, und Ihnen bei Sozialkontakten eine Infektion Dritter egal ist, ist das eine versuchte (gefährliche) Körperverletzung. Dasselbe gilt, wenn Sie tatsächlich infiziert sind, es aber durch Glück nicht zu einer Ansteckung Dritter kommt. Auch Strafbarkeit durch Unterlassen kommt in Betracht. Ein Tipp für Ärzte, Physiotherapeuten, Rechtsanwälte, die entschlossen sind, die unsinnige Panik zu ignorieren: Wenn sich aufgrund Ihrer Nachlässigkeit ein Patient oder Mandant bei Ihnen infiziert, kann das nicht nur peinlich, sondern auch teuer werden.

Und in Erinnerung an Mathilde Berghofer-Weichner [frühere bayerische Justizministerin; erklärte 1987 gemäß SPIEGEL zu vorsätzlichen HIV-Übertragungen "In allerkrassesten Fällen kommt sogar Mord in Betracht."] schließlich die harte Variante: Wenn es Ihnen egal ist, ob ein von Ihnen möglicherweise infizierter Mensch zu denen gehört, die an der Krankheit sterben, ist das ein vollendeter oder versuchter Totschlag (die Mordmerkmale lassen wir hier weg). Mit dieser Überlegung sind wir, vermutlich ohne dass Sie es bemerkt haben, unter der Hand bei den "Raser"- und "illegale Rennen"-Fällen angekommen. Da wird nämlich von der öffentlich herrschenden Meinung ganz stark propagiert, wer wisse, dass sein Verhalten lebensgefährlich sei und dass es nur vom Zufall abhänge, ob ein Mensch zu Tode kommt, handle stets mit bedingtem Vorsatz, und sei deshalb wegen Mordes lebenslang einzusperren.«

Thomas Fischer – "geboren 1953 in Werdohl (NRW), war Vorsitzender Richter am 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs, ist Autor des Standard-Kommentars zum Strafgesetzbuch und Verfasser zahlreicher Kolumnen, in denen er sich mit Fragen des Strafrechts beschäftigt" (DER SPIEGEL) –
https://www.spiegel.de/panorama/justiz/coronavirus-und-das-strafrecht-virus-strafbar-kolumne-a-9347f5da-d295-4a67-90b4-3e0362f77089

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