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  • dr.cheeba

mehr als 1000 Beiträge seit 08.07.2002

Wenn das kein Nationalismus ist, was dann?

goldeneye_1 schrieb am 11. Juli 2008 10:45

> Erstmal: Fusball ist ein Spiel 11 gegen 11 - nicht Hasskappe A gegen
> Hasskappe B. Die Spieler spielen, in einem Team zusammen (egal
> welcher Nationalität sie angehören) gegen das andere Team
> (Nationalität ebenfalls egal). Allein hier zeigt sich schon, dass
> Fusbball im Allgemeinen nichts mit Nationalismus zu tun hat, sondern
> ein Spiel ist. Ein Spiel, bei dem der Zuschauer einen Favoriten hat,
> aber keinen Feind. Zumindest ist das bei der überwältigenden Mehrheit
> der normalen Fussballfans so.

> Bleibt die Nationalmannschaft - falls sich jemand an die letzte WM
> bzw. EM erinnert, fallen ihm vielleicht die Fanfeste ein. Z.B. feiern
> Türken und Deutsche zusammen, mit Angehörigen anderer Nationen. Wo
> ist da da der Nationalismus? Etwa bei den Fan-Farben? Vermutlich sind
> die einigen zu bunt, nicht schwarz-weiss genug ...
>
> Man muss sich einfach mal auf einem Fanfest umschauen, vielleicht
> hilft das zu verstehen, dass Fussball Brücken schlägt und keine
> Nationalismen stärkt.

Das eine schließt das andere nicht aus. Auch zur Zeit des extremsten
Nationalismus gab es z. B. die Brücke Deutschland-Italien.

Die Art und Weise, in der bei der WM oder EM der Wettbewerb
stattfindet und frenetisch inszeniert wird, ist eben doch klar
nationalistisch - sonst könnten einfach beliebig konstituierte
Mannschaften gegeneinander spielen. Warum müssen die unbedingt an
Nationalität gekoppelt sein? In Wirklichkeit spielt die Herkunft der
Spieler, wie man weiß, bei der Zusammensetzung der Mannschaft ja auch
keine entscheidende Rolle. Jeder Verein versucht eben, die besten
Spieler einzubauen, die er bekommen kann und im entsprechenden
Reglement zugelassen sind.

In Wettkämpfen wie dem UEFA-Cup hat man es dann ja auch mit einer
anderen Struktur zu tun, wo die Mannschaften zu Vereinen gehören, die
gewissermaßen nur noch durch den Standort der Unternehmenszentrale
mit einer bestimmten Gegend zu tun haben (und gelegentlich aus
traditionellen Gründen den Namen des Ortes im Titel tragen).

Aber je mehr die Mannschaft von einem Ort abstrahiert ist, desto
weniger Anküpfungspunkte gibt es natürlich für den gewöhnlichen
(Gelegenheits-)Fan, sich mit der jeweiligen Mannschaft zu
identifizieren. Das heißt interessanterweise: je purer der Fußball,
desto weniger kann der "Fußball"-Fan mit ihm anfangen. Nicht die
Technik des Sports an sich steht im Mittelpunkt, sondern das
Zelebrieren von Gruppenkulten. Sich an der Beobachtung technischer
Brillanz zu erfreuen ist da nur Mittel zu Zweck.

Tatsächlich ist Fußball nämlich doch nur ein zwar heute etablierter,
aber im Grunde austauschbarer Anlaß, um sich an der eigenen
nationalen (oder regionalen) Identität zu ergötzen.
Nationalmannschaften zuzujubeln, ist schlicht und einfach eine Form
von Nationalismus; klar harmloser als Kriege zu führen, aber dennoch
Nationalismus. Wer diese Schablone leugnet, kann die letzten Wochen
nicht wach miterlebt haben.

Und natürlich ist es daneben total irrationale Götzenanbetung. Denn
was für eine Rolle spielt es überhaupt, was da irgendwo elf Typen
gegen elf andere Typen bei einem Ballspiel-Wettkampf für ein Resultat
erlangen? In China umfallende Reissäcke haben beinahe schon mehr
Bedeutung für das Leben des Normalbürgers, die Wichtigkeit des
Fußballs ist komplett künstlich, aufgebläht und letztlich vollkommen
absurd. Die Koppelung mit Nationalismus macht den Fußball überhaupt
erst so dermaßen populär. Veranstaltungen wie die WM 2006 und jetzt
die EM sind ein guter Indikator dafür, zu sehen, wieviel
nationalistischer Geist noch so unterwegs ist. In etwa so viel wie
alberne Deutschlandfähnchen an den Autos im Straßenverkehr (plus die
Fähnchen anderer Nationalitäten).

Zwar wirkten die Autos mit den Fähnchen in den EM-Wochen wieder
allgegenwärtig, ich war aber erfreut, festzustellen, daß sie doch
eigentlich nur eine recht kleine Minderheit ausmachten. Es ist
ähnlich wie mit der BILD-Zeitung, die am Ende doch nur von einem
kleinen Bruchteil der Gesellschaft konsumiert wird.

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