KarierterHut schrieb am 02.03.2021 08:33:
In meiner Auflistung der gestiegenen Posten im Sozialbudget fand ich die +25 Mrd. Euro für Private Versicherungen den schillerndsten Posten.
Können Sie mir da bitte mal die Quelle nennen?
Die hatte ich in meinem ersten Beitrag hier im Thread genannt, siehe https://www.heise.de/forum/Telepolis/Kommentare/Daniel-Blake-in-Deutschland/Re-Eines-verwundert-mich/posting-38421736/show/
Ich kann sie aber auch noch einmal geben: https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/Publikationen/a230-19-sozialbudget-2019.pdf?__blob=publicationFile&v=1, dort Tabelle I-2 auf S. 9 bzw. S. 11 nach PDF-Zählung.
Außerdem geht es mir nicht so sehr um die Erwerbsunfähigen, die müssen in einer solidarischen Gesellschaft natürlich unterstützt werden. Vielmehr meine ich die Erwerbsunwilligen, denn die sind der Tod einer Solidargemeinschaft.
Kommt sehr drauf an, wie viele das sind - und wie produktiv die Solidargemeinschaft ist. Keynsianisch lässt sich ja auch immer argumentieren, dass der an die Schmarotzer umverteilte Konsum Nachfrage verursacht und damit (ein höheres und damit vielleicht auch produktiveres Niveau von) Angebot.
Ich hatte in meinem ersten Beitrag in diesem Thread darauf hinzuweisen versucht, dass vermutlich etwa die Hälfte des Volumens des Sozialbudgets aufs Konto der alternden Gesellschaft geht. Nicht einmal 84 Mrd., also bloß etwa 8 % des Sozialbudgets und nicht einmal 3 % des BIP gingen 2019 für Grundsicherung für Arbeitslose und Sozialhilfe drauf, wo du die Schmarotzer vermutlich verorten willst. Das ist zwar nicht nichts, quantitativ aber lange nicht so gewaltig wie du mit dem Startbeitrag dieses Threads getan hattest. Mit Covid werden diese Posten für 2020ff. vermutlich steigen - aber da wirst du wohl kaum Schmarotzertum als den Haupttreiber begreifen, oder?
Etwas höher z. B. liegen bereits Kindergeld und Familienlastenausgleich sowie Kinder- und Jugendhilfe mit zusammen gut 97 Mrd. Warum findest du das dann z. B. nicht interessanter als die plakative Vokabel "Schmarotzer", wo's quantitativ doch gewichtiger ist?
Mir gehen nur die gegen den Strich die sich trickreich aus den Pflichten der Solidargemeinschaft veabschieden, aber trotzdem deren Wohltaten genießen.
Und wie schon mehrfach gesagt, diese Grüppchen finden sich sowohl oberhalb als auch unterhalb der Mitte.
Aber halt nicht in gleichem quantitativen Maße, siehe unten.
..inwieweit gerade gehobene Einkommen und Selbständige aus dem Solidarprinzip ausgenommen sind,
Sind sie das denn? Es stimmt zwar dass Sozialversicherungs- und Rentenbeiträge gedeckelt sind, aber das sind die Lesitungen dann auch.
Denk bitte nochmal drüber nach, was Solidarprinzip meint. Vielleicht illustriert an ausgedachten Extrembeispielen: Jemand arbeitet sein Leben lang zwischen meinetwegen 16 und 65 Jahre und ist quasi nie im Ernst krank, stirbt einen Monat vor Renteneintritt. Dann hat er massiv eingezahlt, aber so gut wie nichts rausbekommen. Jemand anders arbeitet ein paar Jahre ohne nennenswerten Vermögensaufbau (oder Hintergrundvermögen über Erbschaften oder dergleichen), verunfallt dann schwer, wird für sechs Jahrzehnte bis zum Lebensende schwerbehindert, pflegebedürftig mit Mehrbedarfen für Hightech-Betten, -Lifter, -Rollis. Ich kenne die Rechtslage nicht gut genug, würde aber jetzt mal grob tippen, dass 5 Jahre sozialversicherungspflichtige Arbeit ausreichen, damit die regulären Systeme greifen, ansonsten fängt's der Sozialstaat aber über andere Mechanismen auf, bspw. für Leute, die schon mit drei Lebensmonaten schwerbehindert ohne Aussicht auf Heilung sind. Derjenige hat dann sehr wenig eingezahlt, bekommt aber sehr viel raus. Das ist das Wesen der Sozialversicherungen, die verteilen systematisch immer um. Wer aber gar nicht erst einzahlt, der entzieht sich selbstverständlich von vornherein dieser Art von Umverteilung.
Bei Kranken-, Unfall- und Pflegeversicherung ist es völlig klar, dass das Solidarprinzip zu einer chaotischen Umverteilung führt, die davon abhängt, ob jemand krank wird, verunfallt oder pflegebedürftig wird - oder halt nicht. Bei der Arbeitslosenversicherung ist das im Prinzip genauso, höchstens nicht für deine "Schmarotzer", die vielleicht willentlich versuchen, mehr rauszubekommen als einzuzahlen. Bei der Rentenversicherung gibt es zwar zumindest eine Systematik, die Ein- und Auszahlungen in ein Verhältnis setzt, aber auch hier ist der Umverteilungseffekt chaotisch, weil wesentlich davon abhängig, wie alt jemand wird. Die Ausgabenseite funktioniert wesentlich chaotisch. Die Rede ist in diesem Zusammenhang halt oft von allgemeinen Lebensrisiken, die von der Solidargemeinschaft der Versicherten gemeinsam abgesichert werden. Die Einnahmenseite aber begünstigt Gutsituierte, siehe unten.
Und wenn Sie sich mal genauer mit den Quellen der Sozialleistungen beschäftigen dann werden Sie feststellen dass ein nicht unerheblicher Teil aus Steurmitteln bezahlt wird. Und wenn Sie sich mal eie Übersicht über das Steueraufkommen ansehen dann werden Sie feststellen dass ein hoher Teil davon aus der Einkommenssteuer stammt und die vor allem von den besser Verdienenden (Personen) gezahlt wird.
Dass bei der Besteuerung von Unternehmen einiges im Argen liegt äbndert daran nichts.Die Umverteilung von der Mitte nach oben ist weit drastischer als die nach unten.
Können Sie mir das mal vorrechnen?
Höchstens grob über den Daumen gepeilt und mit dem Bewusstsein, dass wir insbesondere über die wirklich reichen Leute im Zweifelsfall einfach gar keine Daten haben, so dass das alles verzerrt ist.
Aber auch so ist es sehr kompliziert, die statistischen Daten zusammenzutragen und kompakt zusammenzustellen. Ich habe damit begonnen, fürchte aber, dass es bereits in der jetzigen, unvollständigen Form (etwa bereits 10 Seiten) viel zu komplex ist, als dass du dich da durchwühlen würdest. Zudem bin ich noch nicht einmal halb durch mit der Materie.
Beim Arbeiten daran bin ich allerdings hierüber gestolpert: https://de.wikipedia.org/wiki/Arbeitsentgelt#/media/Datei:Arbeitsentgelt_SV_LST_Anteile_Single_2015_bis_8000.svg und https://de.wikipedia.org/wiki/Arbeitsentgelt#/media/Datei:Arbeitsentgelt_SV_LST_Anteile_Paar_2015_bis_8000.svg, die https://de.wikipedia.org/wiki/Arbeitsentgelt#Steuern_und_Sozialabgaben zugeordnet sind.
Die beiden Diagramme machen eigentlich ausreichend klar, inwiefern es eine Umverteillung von der Mitte und von unten nach oben gibt - auch wenn da von den Steuern nur die Einkommensteuer in Betracht kommt. Zumindest dann, wenn du die Voraussetzung teilst, dass eine Progression im Steuer-Sozialversicherungssystem angemessen wäre, starke Schultern auch prozentual stärker die Lasten tragen sollten. Hellroter und gelber Bereich verjüngen sich nach rechts, obgleich sie sich progressiv verdicken müssten. Grüner Bereich erreicht ein Plateau, obwohl er weiter sinken müsste. Für noch höhere Einkommen als in den Diagrammen wäre das noch prägnanter, wegen https://de.wikipedia.org/wiki/Beitragsbemessungsgrenze.
Zudem müsste das Existenzminimum eigentlich einen Freibetragssockel bilden, hinter dem die Progresson erst losgeht. Stattdessen gibt es die deutlichste Progression im Bereich zwischen Minijob und Niedriglöhnen in Normalbeschäftigung, also gerade in dem Bereich, in dem das Existenzminimum so langsam voll selbst erwirtschaftet wird.
Und selbstverständlich gehört auch zum Thema, dass Beamte und Soldaten sowie ausreichend gutsituierte Selbständige und Leute, die Einkommen nur aus Vermögen generieren, kein Teil der Sozialversicherungen sind, sich also an den chaotischen Kosten nicht beteiligen.
Sag mal an, ob du das wirklich noch tiefer in den Details mit Durchwühlen von Statistiken diskutieren möchtest ...