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  • morgen Stern

988 Beiträge seit 03.10.2015

Re: Eines verwundert mich

KarierterHut schrieb am 05.03.2021 13:52:

Das ist jetzt eine sehr merkwürdige Mathematik. Der "oben" zahlt mehr als der "unten". Wieso kommen Sie darauf dass dies eine Umverteilung von unten nach oben ist?

...

Echt jetzt? Wer wenig Umsatzsteuer oder die Kapitalertragssteuer zahlt der finaziert damit diejenigen die vie lSteuern zaheln?

Ich hatte gesagt, dass das politisch voraussetzungsvoll ist und z. B. auf Artikel 14 GG hingewiesen.

Wenn wir eine Progression im Sinne eines prozentualen Anstiegs von Steuern (meines, aber nicht deines Erachtens auch von Sozialversicherungen) bei steigendem Einkommen fair finden, weil starke Schultern stärkere Lasten tragen sollten und auch, um Vermögenszentralisation politisch zumindest ein wenig zu beschränken, dann ist Degression im Sinne eines prozentualen Abfalls von Steuern (und Sozialversicherungen) unfair. Und: Ja, dann finanzieren diejenigen, die weniger zahlen, diejenigen, die gemäß unserer Fairnessvorstellungen noch viel mehr zahlen müssten.

Das ist nicht schlicht Mathematik, sondern Einheit von politischen (oder meinetwegen ethischen) Voraussetzungen und Mathematik.

Ihre willkürliche Beschränkung der Gemeinschaft auf die Sozialversicherten ist sachlich nicht korrekt da große Teile der Sozialausgaben durch Steuermittel finanziert werden die durchaus auch von Menschen gezahlt werden die keine Sozialversicherungsbeiträge entrichten.

Das finde ich nicht so klar wie du.

Einnahmenseite:
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Die ja bereits mehrfach verlinkte offizielle Aufbereitung zum Sozialbudget enthält mit Tabelle II auf S. 13 bzw. S. 15 nach PDF-Zählung eine Aufschlüsselung der Finanzierung des Sozialbudgets. Ich bleibe mal beim Jahr 2019 als Referenzjahr. Demnach wurden knapp 722 Mrd. über Sozialversicherungen finanziert, gut 361 Mrd. über Steuern, also ziemlich präzise im Verhältnis 2:1. Die sonstigen Einnahmen in Höhe von knapp 17 Mrd. finde ich vernachlässigenswert.

Ausgabenseite:
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Die Tabelle I-2 sagt, dass die Sozialversicherungsausgaben bei knapp 630 Mrd. liegen (Posten 1). Hinzu kommen meines Erachtens die etwas irre betittelten "Arbeitgebersysteme" mit gut 100 Mrd. (Posten 4), die m. E. quasi-sozialversicherungssystemisch sind. Desweiteren wird auch ALG II zu einem Teil über Sozialversicherungen finanziert, siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Arbeitslosengeld_II#Kostenträger. Pi mal Daumen schätze ich mal, dass das etwa 30 Mrd. der in den Posten 63 bis 65 genannten knapp 47 Mrd. sein könnten, vgl. z. B. https://statistik.arbeitsagentur.de/Statistikdaten/Detail/201912/ausgabenstatistik/ausgaben-sgbii/ausgaben-sgbii-dwoljc-0-201912-xlsm.xlsm?__blob=publicationFile&v=2. Sachlich lässt sich selbstverständlich darüber diskutieren, ob die maßgebliche Teilfinanzierung von ALG-II über die Sozialversicherungen eigentlich angemessen ist, da Empfangende ja entweder gar nichts oder wenig in die Arbeitslosenversicherung einzahlten oder bereits über ALG I schon etliche Auszahlungen erhielten.

Ich kann's sachlich nicht beurteilen, würde aber denken, dass wir auch die Posten 21 und 22 als Sozialversicherungsausgaben mit knapp 10 Mrd. hinzunehmen könnten. Womit sich dann etwa 630 + 100 + 30 + 10 = 770 Mrd. insgesamt als Sozialversicherungsausgaben betrachten lassen, 630 Mrd. jedenfalls definitiv.

Damit blieben die übrigen Ausgaben des Sozialbudgets sachlich Staatsausgaben/Steuerausgaben mit etwa 1.040 - 770 = 270 Mrd. bzw, wenn wir den Sozialversicherungsumfang sehr streng eingrenzen wollen, etwa 1.040 - 630 = 410 Mrd.

Einnahmen- und Ausgabenseite gegenübergestellt
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Je nachdem, wie streng wir das betrachten, haben wir also einerseits Sozialversicherungseinnahmen von etwa 722 Mrd., denen Sozialversicherungsausgaben von etwa 630 bis 770 Mrd. gegenüberstehen, und andererseits Steuereinnahmen von etwa 361 Mrd., denen Sozialstaatsausgaben von etwa 270 bis 410 Mrd. gegenüberstehen.

Wer finanziert denn dann wen quer im Sozialstaat? Die Sozialversicherungen den Steuerstaat oder der Steuerstaat die Sozialversicherungen? Wenn wir den Sozialversicherungsumfang streng eingrenzen, finanzieren die Sozialversicherungen den Steuerstaat. Mir erscheinen aber die 770 Mrd. die realistischere Zahl, weshalb ich sagen würde, dass der Steuerstaat die Sozialversicherungen 2019 mit etwa 50 Mrd. querfinanziert hat.

Das allerdings nur auf den ersten Blick. Die Thematik der sogenannten https://de.wikipedia.org/wiki/Versicherungsfremde_Leistungen ist quantitativ kein bisschen trivial. Nur als markantes Beispiel ist gar nicht einzusehen, dass die Einverleibung der DDR auch auf Kosten der Sozialversicherungen und nicht ausschließlich auf Kosten des Steuerstaats geschah. Ähnlich mit dem Kurzarbeitergeld, das jetzt im Zuge von Covid so massiv ausgeschüttet wird, was 2019 aber selbstverständlich noch nicht so ein Thema war.

Ich würde tippen, dass sich dafür argumentieren ließe, dass die versicherungsfremden Leistungen einen weit höheren Umfang als 50 Mrd. im Jahr haben und somit die Sozialversicherungen zumindest 2019 sehr deutlich den Steuerstaat querfinanzierten, nicht etwa umgekehrt.

Selbst aber, wenn du da nicht mitgehst, sind 50 Mrd. von den Steuerzahlenden weit weniger als 10 % des gesamten Steueraufkommens, ein eher kleiner Betrag. Zugestanden allerdings ist, dass 2019 ein günstiges Referenzjahr für mein Argument zu sein scheint, in anderen Jahren der Betrag auch weit größer ausfallen könnte, 2021 z. B., würde ich wegen Covid tippen.

Die vermeintliche Degression kommt durch die Beitragsbemessungsgrenzen zu Stande. Für einen Teil des Einkmmens müssen dann keine Beiträge mehr gezahlt werden. Der Betreffende bekommt dan aber später auch nur Leistungen entsprechend seiner Beiträge.
Die "Degession" bedeutet ja nicht dass er weniger zahlt sondern nur dass er nicht noch mehr zahlt. Daher finde ich den Begriff problematisch.

...

"Degression" bedeutet hier ein sinken des prozentualen Anteils. Es bedeutet nicht das der absolute Betrag sinkt.

Ich meine, dass ich immer konsequent davon sprach, dass starke Schultern auch PROZENTUAL stärkere Lasten tragen sollten. Im Steuer-Diskurs sind Progression und Degression quasi so definiert, siehe z. B. https://de.wikipedia.org/wiki/Steuerprogression. Allgemein-mathematisch könnte das selbstverständlich auch etwas völlig anderes meinen. Ich habe mich aber wirklich redlich bemüht, klar zu sagen, was ich meine. Du hast es ja jetzt auch offenbar verstanden, auch wenn du da widerwillig bleibst.

Daraus ergibt sich nämlich, dass die Einnahmenseite der Sozialversicherungen in keiner vernünftigen Beziehung zur Ausgabenseite stehen kann

Nein. Diese Bewertung hängt nur davon ab wer Netto-Zahler und wer Netto-Empfänger ist.

Ok, das kannst du aber erst wissen, wenn jemand tot ist. Vorher könnte die Person ja noch ewig Rentenzahlungen erhalten oder an irgendeiner seltenen Krankheit leiden, die zu irrwitzigen Kosten im Gesundheitssystem führt. Weil du es erst post mortem bestimmen kannst, gilt halt für die Lebenden, dass es chaotisch ist. Wir könnten selbstverständlich auch über Erbschaftssteuern sprechen, aber unter Umständen hinterlassen die Netto-Empfangenden ja nix. Insofern bleibt es im Kern dabei, dass die Gegenfinanzierung von den Lebenden gestemmt werden muss, die nicht wissen können, welche Sozialversicherungsausgaben sie in Summe produzieren werden. Deshalb können wir die Einnahmenseite nicht irgendwie logisch abgeleitet aus der Ausgabenseite konstruieren, sondern müssen auf andere Prinzipien aufbauen. Starke Schultern tragen mehr, wäre halt so ein Prinzip.

Problematisch finde ich aber die Beitragsbemessungsgrenzen. Die gehören aufgehoben.

...

Im Sozialversicherungsbereich lehne ich eine Progression des Beitragssatzes ab, im Bereich der Einkommens- und Ertragssteuern befürworte ich sie.

...

Bezüglich Renten- und Krankenvesicherung ein einheitlicher Prozentsatz mit einem Freibetrag (gekoppelt an das Median-Einkommen).
GKV-Pflicht für alle, aber individuell PKV-Zusatzversicherung möglich.
Darüber hinaus in der Krankenversicherung Honorierung von Eigenverantwortung (Teilnahme an Vorsorgeuntersuchungen, Impfstatus, ...) sowie Sanktionierung in Form von Zuschlägen bei verantwortungslosem Handeln oder selbst verschuldeten Problemen (Rauchen, Drogen, Alkohol, Unfälle bei Extremsportarten). Also ähnlich wie in der Autoversicherung.

Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze und GKV-Pflicht würden die Degression im Sozialversicherungsbereich beenden (die nebenbei bemerkt, durch das Plateau des Spitzensteuersatzes noch verschärft wird, was in den Wikipedia-Diagrammen nicht sichtbar wird, weil der ja bei x>20.000 Euro pro Monat liegt). Mit einem Freibetrag stellt sich dann aber die Frage, wie du dir die Progression im Übergang von Freibetrag zu Beiträgen vorstellt: Auf einen Schlag ab dem Median-Einkommen? Oder doch irgendwie progressiv eingeführt?

Es ist das Augenfällige an den Wikipedia-Diagrammen, dass die Einkommensteuer ihre stärkste Progression im Niedriglohn-Bereich hat, während sie ab dem Spitzensteuersatz komplett aufhört, es da weder Degression noch Progression gibt. Das findest du unproblematisch und fair? Ich nicht, ein lineares Konzept mit Freibetrag wäre angemessener.

Und: Wenn du auch im Sozialversicherungsbereich einen Freibetrag möchtest, bekommst du da ein ähnliches Fairness-Problem: Der Sprung von knapp unterhalb des Freibetrags auf knapp oberhalb des Freibetrags durch eine Lohnerhöhung z. B., würde dazu führen, dass netto plötzlich viel weniger verfügbar wäre - trotz, ja gerade wegen der Lohnerhöhung. Das ist die Thematik der kalten Progression aus der Steuerdebatte.

Ansonsten: Hast du irgendein Argument dafür, warum es im Sozialversicherungsbereich keine Progression geben sollte? Warum ist es dort nicht wie ansatzweise bei der Einkommensteuer fair, stärkere Schultern auch prozentual stärker zu belasten?

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