Bei allem, was man Putin/Russland vorwerfen kann, halte ich Grässlins Aussage doch für sehr fragwürdig.
Der Krieg ist schrecklich und diejenigen, die ihn begannen, handelten verantwortungslos. Das Dilemma des russischen Militärs stellen aber offenbar die notwendigen Selbstbegrenzungen dar. Ein "Moral Bombing", durch das ein zügiges Waffenstillstands-Angebot Kiews erreicht werden könnte und wie es die Nato in Jugoslawien durch Bombardierung der Chemieanlagen in Pancevo, Novi Sad und Bor betrieb, kann es nicht geben. Immer noch knapp 40% der ukrainischen Bevölkerung verstehen sich als Russen, auf deren Loyalität man später angewiesen ist. Und das russische Militär in der Ukraine steht unter ganz besonderer Beobachtung, nicht nur der internationalen Öffentlichkeit, sondern auch der eigenen Bevölkerung, insbesondere der international vernetzten und einflussreichen eigenen Geldelite.
Der Häuserkampf in Mariupol führte zu vielen zivilen Toten. Mariupol liegt im Oblast Donezk und die Ausweitung des russischen Einflusses auf die administrativen Gebiete der Oblasti Donezk und Lugansk ist inzwischen das (Minimal?)-Ziel des Krieges. Der Rückzug der Truppen aus dem Raum Kiew und Cernigov zeigt aber, dass Russland nicht glaubt, sich ein zweites, evtl. noch grösseres Mariupol, noch leisten zu können. Die Hoffnung, das militärische Bedrohungs-Szenario dort würde Selenskyj & Co zu einem Verständigungsfrieden bewegen, erwies sich als trügerisch.
Das realistische Szenario also ist ein Dauerkonflikt, wie es ihn seit 2014 im Donbas bereits gibt, nur eben intensiver und an einer nach Westen vorgeschobenen Demarkationslinie. Den USA und ihren direkten Satellitenstaaten in Europa käme das entgegen. Russland würde das in seiner ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklung zurückwerfen, die demografische und ökonomische Auszehrung der Ukraine würde sich beschleunigen und zu den Verlierern würden auch Länder wie Deutschland und Österreich gehören.