Vor allem in Deutschland wird EU-Kritik als moderne Form des Vaterlandsverrats hingestellt
Was für ein Unsinn.
Zentraler Kritikpunkt am "Brexit" war und ist die dahinter liegende Irrationalität. Ob es uns gefällt oder nicht: Davon, dass jeder nach Lust und Laune ohne größeren Aufwand Handel mit ganz Europa treiben konnte, haben alle profitiert. Man muss sich nur mal ansehen, wie viele kleinere Händler Bücher und DVDs von England aus in den Rest Europas versenden. Ferner stehen wir vor Herausforderungen, die wir nur als Gesamtheit tatsächlich anpacken und bewältigen können.
Ein "Brexit" könnte ja durchaus Sinn ergeben. Wenn man sich hinstellen könnte und sagen könnte: "Schaut her, diese oder jene Änderung an den aktuellen gesamtgesellschaftlichen Spielregeln wären ungemein wichtig, ja geradezu drängend und unvermeidbar, können wir aber auf Grund der EU-Verträge nicht umsetzen". Dann würde ein "Brexit" durchaus eine sinnvolle Sache sein. Es wurde jedoch kein einziges Argument dieser Art von den "Brexit"-Befürwortern vorgebracht. Ganz im Gegenteil: Es wurde gelogen um die eigene Position zu verbreiten. Wirtschaftlich ergibt es wenig Sinn und politisch genauso wenig. Die ganze Argumentation fällt auf ein "wir wollen (nicht)" zusammen. Es wirkt wie wenn kleine Kinder sich bockig auf den Boden werfen und von irgend einer komischen Größe a la "wir wollen wer sein" träumen. It's that simple. Es überrascht, dass Herr Nowak das nicht wahr genommen hat und hier von "Vaterlandsverrat" schwadroniert. Es geht hier nicht um ein "Vaterlandsverrat", sondern darum, dass man Vorstellungen ohne rationale Grundlage verfolgt, sich davon Wunder erwartet, aber im Endeffekt alles nur verschlimmert. Und wertvolle Energie verpulvert, die man für eine gesamteuropäische Verbesserung gut hätte nutzen können, die dann im Endeffekt nicht nur mehr Vorteile gebracht hätten, sondern sogar allen Vorteile gebracht hätten.
Das zentrale Argument der Lexit-Kampagne wurde nicht einmal diskutiert und kritisiert, sondern einfach nicht beachtet. Es lautet: Die EU in ihrer aktuellen Form ist ein Desaster für Arbeiter-, Gewerkschafts- und Flüchtlingsrechte. Sie ist also gerade nicht die von vielen Linken und Liberalen so hochgelobte Alternative zur nationalistischen Brexit-Kampagne, sondern nur die andere Seite der Medaille.
Auch das ist Unsinn. Denn erstens ist die EU kein "Desaster für Arbeiter- und Gewerkschaftsrechte": Verglichen mit anderen Ländern ist es sogar noch recht gut. Sogar so gut, dass darin das Handelsabkommen mit Amerika scheitert, in dem die ach so böse und "desaströse" EU auf wenigstens Minimalstandards in den USA pocht. Dass Verbesserungen notwendig und sinnvoll sind - geschenkt. Wissen wir alle. Diese jedoch wären durchaus gesamtgesellschaftlich erreichbar. WENN man sich dafür einsetzen würde.
Allerdings setzt sich niemand dafür ein. Weder die einzelnen Regierungen der Nationalstaaten - die haben nämlich kein Interesse daran - noch die Bevölkerung - die hat nämlich auch kein Interesse daran. Die Regierungen folgen stark den Einflüssen der Wirtschaft - weil es die Bevölkerung wenig interessiert - und die Bevölkerung beschäftigt sich lieber mit ihrem iPhone als dass sie sich mal auf den Hosenboden setzt, sich was überlegt oder sogar mal durchrechnet. Man schreit dann nur laut "bäh" wenn's irgendwann nicht mehr so rosig ist, wie in den 60ern/70ern und glaubt genau zu wissen, wo die Schuldigen zu finden sind: Natürlich immer bei den anderen. Dass man selbst die aktuelle Entwicklung befeuert, in dem man Hosen und Schuhe für 20 Euro kaufen will statt für 40 oder 50, soweit denkt man gar nicht. Dafür schreit man umso lauter.
In diesem Kontext also - dem fehlenden (echten) Interesse aller Beteiligter an sozialen Verbesserungen - treten nun Leute auf den Plan, die ihre große Stunde widmen: Durch ein "Xexit" soll ein nationalistischer Alleingang realisiert werden. Man gibt vor, dadurch würde dann alles anders und besser werden. Anspruch und Wirklichkeit klaffen jedoch nicht nur grotesk weit auseinander, man verschärft sogar die Probleme noch. Beispiel: England soll jetzt ein Steuerparadies werden um die nun abwandernden Unternehmen doch im Land halten zu können. Beispiel: Unsere lustige AfD ist so neoliberal, dass sogar die FDP blass vor Neid wird. Die Zielrichtung zeigt: Hier geht es nicht um wesentliche Verbesserungen. Es geht rein um eine Vorteilnahme. Man sieht seine große Chance gekommen, endlich wird man "beachtet", und greift nach Macht. Das zeigt schon die Art der Werbung unserer AfD, wie sie sinngemäß kurz vor Weinachten auf der AfD-Homepage zu lesen war: Der Deal: Ihr spendet und stimmt für uns, wir kommen in den Bundestag. Schön auch heute zu lesen - wörtlich: "Ihre Spende bringt die AfD in den Bundestag". Wie bei Trump, Brexit & Co. geht's um Ego: Es geht nicht um konkrete Verbesserungen - da wird NICHTS genannt - zentral ist die AfD und ihre "Mission" in den Bundestag zu kommen.
Wir haben also einen Kontext großen Desinteresses an sozialen Verbesserungen - effektiv ist das so, auch wenn vordergründig immer alle gegenteiliges schreien - und eine AfD mit Egoproblem, die aus rein machtorientierten Gründen in den Bundestag will. Um einen egomanischen neoliberalen Alleingang zu realisieren. Bei Brexit und den anderen nationalistischen Bewegungen ist das alles recht ähnlich. In diesem Kontext soll also dann alles besser werden? In diesem Kontext soll dann jede Menge (natürlich nicht näher genannte Dinge) umgesetzt werden, die im EU-Kontext nicht gleichermaßen umgesetzt werden könnten? Im Umfeld neoliberaler Egomanie und Desinteresse an echten Veränderungen? Ich lache! Herr Nowak, ich bedaure, wenn ich solch einen Kontext nicht nur nicht überzeugend, sondern geradezu idiotisch weil schädlich erachte.
Und sie haben die Flüchtlinge angesprochen. Auch hier ist ihre Perspektive geradezu grotesk verzerrend. Die desaströse Situation ergab sich ja nicht etwa, weil die EU irgend einen "Fehler" enthalten würde. Einzelne Länder haben sich hingestellt, mit den Füßen aufgestampft und wie ein Kleinkind gesagt: "Wir wollen nicht". Das lag nicht an der EU, sondern weil die einzelnen Regierungen im Aufwind gesellschaftlicher Idiotie geglaubt haben, nun nationalistisch und ignorant agieren zu können. Gäbe es die EU nicht, wäre das nicht nur keinen Millimeter anders - gewisse Menschen und die Regierungen werden deswegen ihre Haltung ja nicht ändern, nur weil es plötzlich wieder Zölle gibt und man alle Nase lang sein Geld umtauschen muss - sondern sogar noch weitaus schlimmer: Dann nämlich träten viele der Konflikte gar nicht so offen zu Tage, und es gäbe auch kein Regulativ mehr, dass desolate Zustände durch die in den EU-Verträgen festgehaltenen Mindeststandards abbremsen würde.
Ich finde diese EU-Hetze reichlich bezeichnend. Denn es ist Hetze: Gibt es ein Problem, dann muss man es benennen, kann einen Konsens finden und es lösen. Es ist Hetze, weil genau das aber gar nicht angestrebt wird: Man muss sich nur mal ansehen, welchen Stil TP fährt, welche Perspektive Nowak und seine Kollegen zeichnen. Für eine exemplarische Einschätzung reicht das bereits: Es geht nicht um einen echten Verbesserungsprozess, sondern - typisch Deutsch - um Kritik der Kritik willen. Es ist keine konstruktive Herangehensweise, sondern eine rein destruktive. Das Ziel: Bauchpinselei. Es geht um Emotion, nicht um einen sachlich orientierten Verbesserungsprozess. Sorry, wenn ich den auch bei einem "Lexit" nicht erkennen kann. Und sorry, wenn ich einen solchen bei TP nicht erkennen kann. Die tatsächlich notwendigen Verbesserungsschritte werden nämlich nicht nur nicht mal diskutiert, sie werden noch nicht mal angesprochen. Stattdessen plädiert man für Änderungen der Änderung willen (und aus Egomanie), obwohl absehbar ist, dass da außer negatives Chaos nichts heraus kommt. Wie ein kleines Kind am Fernseher, der eine Bildstörung hat, und nun wild und unkoordiniert - und vor allen Dingen sinnlos - einfach mal überall herum drückt, doch im Endeffekt alles nur verschlimmert. Sorry, wenn ich solch ein Vorgehen nicht für überzeugend halte.