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  • mind.dispersal

mehr als 1000 Beiträge seit 02.03.2010

Trauer, Depression und Normalität

Negative Emotionen, wie Trauer bei Verlust eines Angehörigen z. B. zu pathologisieren, ist nicht einfach gut oder schlecht, sondern letztendlich ziemlich pragmatisch. Es ist einfach nützlich im Rahmen des herrschenden Systems.

Weil einem in einer Trauerphase, in der man nicht mal fähig ist, zu arbeiten, niemand einen Krankenschein ausstellt, in dem schlicht "Traurigkeit" als Grund angegeben wird. Auch nicht zur Überweisung zu einem Therapeuten, der einem evtl. hilft, mit den entsprechenden Gefühlen fertig zu werden. Denn viele haben genau dieses Problem: Sie werden mit den Ereignissen und den Gefühlen, die ihnen folgen, nicht fertig.

Und wer will schon definieren, was normal ist, wenn schon derselbe Mensch beim Verlust von verschiedenen Angehörigen ganz unterschiedlich reagieren kann, je nachdem, wie die Beziehung geartet war?

Es ist letztendlich systemisch bedingt, dass eine solche Klassifizierung notwendig wird, weil viele Geschäfts- und Arbeitsverhältnisse nicht auf einem Vertrauen basieren, in welchem der Arbeitnehmer nach eigener Einschätzung von der Arbeit fernbleiben kann. Es muss eine prüfende Instanz hinzugezogen werden, die eine Arbeitsunfähigkeit bescheinigt. Und da eine Arbeitsunfähigkeit letztendlich synonym mit "krank" gehandelt wird, muss es jemanden geben, der diese Krankheit diagnostiziert.

Nun kann man auf der einen Seite sagen, die Diagnose "depressive Phase" sei nun ein systemisch bedingtes Konstrukt, welches wuchert und blüht, allein aus dem Umstand heraus, dass man nicht einfach zu seinem Arbeitgeber sagen kann "Ich kann nicht", wegen Lohnfortzahlung, etc. und sei deswegen ein Übel, weil falsch und stigmatisiere, pathologisiere, whatever...

Auf der anderen Seite schützt dieses "Konstrukt" aber den Menschen vor der Rücksichtslosigkeit des Systems und es scheint sogar, als sei dies genau seine Funktion. Denn so ist es ja. Gefühle per se sind etwas, das einem gerne ausgeredet wird und wovon man verlangt, man solle es für wichtigeres beiseiteschieben. Man bekommt dann einen "Moment" gegönnt, einen Tag oder zwei, aber dann "muss es auch mal gut sein". Man kennt das. Wenn nun aber jemand "depressiv" ist, dann hat ihn scheinbar etwas befallen, worüber er keine Macht hat. Es kommt nicht "aus ihm selbst heraus", sondern scheint seine eigene Mechanik zu haben, in die sich der "Befallene" verstrickt hat. Es muss aus dem Begriff des gesunden Menschen und seinem Portfolio der normalen psychischen Verfassheiten heraus definiert werden, damit der trauernde Mensch in seiner Verfassung nicht an der "Normalität" teilnehmen muss, weil er es gar nicht kann.

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