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  • djadmoros

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Naives Soziologen-Bashing

TecDoc schrieb am 12. Dezember 2011 14:54

> Ach ja, ein Soziologe beglückt uns mit einer tiefgründigen Analyse
> des Finanzsystems ... da sei die Frage erlaubt, woher er über
> hinreichend (Aus-)bildung, Vorkenntnisse oder Qualifikation verfügt.

> Der Artikel ist aber ein gutes Symptom der tieferen Ursachen für die
> ausufernde Macht des Finanzgewerbes:

> 1. Informations- und Fähigkeitsvorsprung
> Das wirkliche Geldverständnis, die echten Qualifikationen, die für
> das Finanzsystem relevant und notwendig sind, liegt bei den Banken
> und Finanzinstituten, und zwar nur dort.

Das ist nicht mehr als ein Glaubensartikel. Die ökonomischen
Ideologien, auch diejenigen, die sich akademisch als "Wissenschaft"
etabliert haben, leiden alle miteinander - und zwar grundsätzlich,
von ihrem Charakter als ökonomische Theorien her - unter dem Problem,
gesellschaftliche Randbedingungen auszublenden und sich auf
bestimmte, stark vereinfachende Annahmen axiomatisch zu verlassen.
Das "qualifizierte Wissen", das in Modellen wie beipsielsweise denen
der Chigagoer Schule steckt, funktioniert genau so lange, bis es
aufhört zu funktionieren, weil die als konstant gestzten
Randbedingungen der betreffenden Theorie aufgehört haben, konstant zu
sein. Dieses Wissen ist genau so lange "qualifiziert", bis es
aufhört, qualifiziert zu sein. Die ökonomischen Programme, die da als
Heilslehren und Verhaltensrichtlinien verkauft werden, verhalten sich
wie Computerprogramme: sie sind so lange fehlerfrei, bis ein Fehler
auftritt.

Soziologische Modelle verfügen demgegenüber über die Kompetenz, in
wissenschaftlich qualifizierter Weise auf solche ausgeblendeten
Randbedingungen zu reflektieren. Die Fehler ökonomischer Theorien
sind demgegenüber niemals mit Bordmitteln zu beheben - statt dessen
entsteht - wie beim Übergang vom Keynesianismus zum Neoliberalismus -
eine neue Theorie, die andere Randbedingungen konstant setzt, und
dieses Rahmenbedingungen so lange "bewirtschaftet", bis auch diese
sich erschöpft haben. Man kann mit solchen Theorien eine Zeitlang gut
fahren - nur sind sie empirisch blind. Die neoliberale Theorie
beispielsweise ist inhährent unfähig, ruinösen Sozialabbau als
ruinösen Sozialabbau zu erkennen. Die Maßstäbe, die eine solche
Bewertung möglich machen, stammen von außerhalb des ökonomischen
Modells.

Deshalb können ökonomische Glaubenslehren (denn um nichts anderes
handelt es sich) nur durch zu ihnen externe Lernprozesse überwunden
werden. Und insbesondere die soziologische Perspektive ist geeignet,
den hierzu erforderlichen analytischen Bezugsrahmen zu erweitern.

Ich habe keine Ahnung, aus welchen Quellen sich Dein naives
Soziologen-Bashing speist, aber es wird jedenfalls nicht von allzu
tiefem Problemverständnis behelligt.

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