the observer schrieb am 22.12.2016 18:10:
Es gibt berechtigte Kritiken an der Methode der Falsifikation (man denke nur an den Positivismusstreit oder Kuhns Arbeit über die Geschichte der Wissenschaften). Kritiken, die ebenfalls besagen, daß Popper, als er seinen Kritischen Rationalismus entworfen hat, vor allem an die Naturwissenschaften, die Physik gedacht hat, aber die Gesellschafts- bzw. Sozialwissenschaften unberücksichtigt ließ.
Nicht unberücksichtigt, aber bei den G. und S.-Wissenschaften passt es nicht ganz so schön.
Aber gerade außerhalb der exakten Wissenschaften gibt es eine Vielzahl von Theorien, die sich einer empirischen Überprüfbarkeit entziehen (und, wie wir festegestellt haben, sogar innerhalb der Physik), ohne daß man deren Wissenschaftlichkeit deshalb in Abrede stellt. Daraus kann man die Folgerung ableiten, daß Falsifizierbarkeit keine hinreichende Bedingung ist, die Wissenschaftlichkeit einer Theorie zu belegen.
Mit leichtem Unwohlsein, aber vorsichtige Zustimmung. Ich würde eher vorschlagen, dass nicht jedes nicht falsifizierbare Element einer Theorie automatisch zur Umwissenschaftlichkeit der Theorie führt. Also in diesem Sinne keine hinreichende Bedingung.
Man muß möglicherweise noch andere Kriterien bemühen.
Ja.
Dein Argument der Heterogenität von Marx' Werken kann ich nachvollziehen, und das ist auch ein vielgenannter Kritikpunkt. Kritische Analysen wechseln mit ideologischen Statements, oder sagen wir etwas entschärfter, wertenden Aussagen. Ich bin, obwohl wir uns früher als Schüler und im Studium mit Marx befassen mußten, nicht der Fachmann für Gesellschaftswissenschaften, aber ich würde mich hüten, seine Werke pauschal als unwissenschaftlich abzutun, sondern eine eher differenzierte Betrachtungsweise bevorzugen, und die liefert bekanntlicherweise meist keine einfachen Antworten.
Ja. Aber wir sind ja eigentlich schon weiter. Nicht alles, was bei Marx unwissenschaftlich ist, muss notwendigerweise falsch sein, und manches, was bei ihm selbst strengen wissenschaftlichen Ansprüchen genügt, ist trotzdem nicht wahr oder aktuell oder relevant sein.
Es würde mir also darum gehen, zu überprüfen, welche Teile des Gedankengebäudes noch stehen bleiben können, wenn man die Inkonsistenzen auflöst, die nur historisch relevanten Elemente durch aktuellere ersetzt, die nachweislich falschen weglässt, oder durch bessere ersetzt etc. pp.
Etwas, was Popper ja teilweise gemacht hat. Denn obwohl er die Methode als solche kritisiert hat, und viele Schlussfolgerungen als nicht logisch zwingend kritisiert hat, blieben doch wichtige Elemente stehen - Genug, um Marx einen bleibenden Platz in der Geschichte zu lassen.
Vielleicht sollte man an diese Frage anders herangehen: Kann uns der [dialektische Materialismus] etwas über uns und unsere Welt sagen, ist er in irgendeiner Weise für uns nützlich, und sei es nur, daß er unser Denken in eine bestimmte Richtung lenkt?
Einverstanden. Wobei man nicht nur nach der Nützlichkeit sondern auch nach dem potentiellen Schaden fragen sollte. Bewusstseinserweiternde Drogen und Religion lenken unser Denken auch in eine bestimmte Richtung, trotzdem würde ich beide mit Warnhinweisen versehen (... zu Risiken und Nebenwirkungen fragen sie Ihren Arzt oder Agnostiker ...)