Mrothyr schrieb am 20.12.2016 17:28:
Cornelius Vex schrieb am 20.12.2016 14:42:
Der sogenannte "Neo-Liberalismus" (=unregulierter Kapitalismus) kann meiner Meinung nach langfristig auch nicht funktionieren (Umwelt als Produktionsfaktor?).
Warum nicht? Eine ökonomische Betrachtung bedingt eine Vereinheitlichung aller Aspekte auf gemeinsame Wertmaßstäbe - üblicherweise Kennziffern monetärer Natur. Darauf kann man auch die Umwelt herunterbrechen. Der Fehler, der gemacht wird, ist der, nur das in die Rechnung als Kosten einzubeziehen, das man selbst zu tragen hat. Im Kleinen wie im Großen. Zum Beispiel werden beim Abbau von Rostoffen unabhängig ihrer Art keine Resubstitutionskosten eingerechnet - die Kosten, die da eingerechnet werden sind üblicherweise die Förderkosten. Und zwar die, die der Förderer auch tatsächlich zu tragen hat, damit er "konkurrenzfähig" bleibt. Bei einer vollumfänglichen Betrachtung müßte man die Resubstitution von der Natur entnommenen Ressourcen eben auch mit einbeziehen, was die Rohstoffpreise aber massiv heraufsetzen würde. Auf der anderen Seite aber plötzlich die Recyclingwirtschaft recht kostengünstig aussehen ließe.
Das Problem läßt sich überall beobachten. Unternehmen wollen fertig ausgebildete Arbeitskräfte. Der Staat soll sie liefern. Steuern werden natürlich nicht gezahlt. Und der Staat delegiert die Finanzierung per Studienkosten dann an die Arbeitnehmer selbst. Heißt schlußendlich: Die Unternehmen schürfen, ohne sich an den Resubstitutionskosten zu beteiligen, Humanressourcen. Ökonomisch betrachtet ist die Rechnung, die die Unternehmen da aufmachen, eben eine unvollständige Kosten-Nutzen-Rechnung, die nur funktioniert, weil die Unternehmen den Nutzen und die Gesellschaft die Kosten hat.
Man muß jetzt nicht von einem grundsätzlich marktwirtschaftlich orientierten Standpunkt abweichen, um darin einen Fehler zu erkennen und ihn dann auch politisch anzugehen. Resubstitutionskosten können mittels Besteuerung "simuliert" werden - jede importierte Ware bekommt eine Rohstoffsteuer drauf. Gleiches gilt für jede im Inland aus der Umwelt entnommene (nichtnachwachsende) Ressource. Und wenn Recyclingprodukte exportiert werden (und zwar nur bei Export) bekommen die noch eine negative Subvention on top, um bei einem Reimport die entsprechende Rohstoffsteuer zu kompensieren. Und hier sind wir jetzt bei dem Problem, daß wir politisch die Handlungsfähigkeit aus der Hand geben, wenn wir das europäische Integrationsprojekt nicht aufgeben ODER vorantreiben, weil eben ein offener Markt ohne weitergehende Integration die Gestaltungsfähigkeit der Politik einschränkt (was schlußendlich ja auch Zweck solcher Konstrukte ist).
Ja, von der Theorie her kann man das so machen nur ist es dann kein unregulierter Kapitalsmus mehr (den ich ja eh nicht befürworte). Wieso?
a) wie setzt eine Regierung die Höhe der Resubstitutionskosten-Steuern fest -> hat erstmal nichts mit Marktwirtschaft zu tun (was nicht unbedingt falsch sein muß) oder
b) der Markt entscheidet den Preis wie z.B. bei den CO2 Zertifikaten. Nur gibt es da anscheinend wieder zu viele davon (staatlicher Eingriff), so dass der Preis zu niedrig ist.
In beiden Fällen meiner Meinung nach kein unregulierter Kapitalismus.
Schlimmer wird diese Betrachtung noch, wenn wir natürliche Monopole in ihrer Wirkung einbeziehen. Natürliche Monopole können nicht marktwirtschaftlich betrachtet werden - ein Marktteilnehmer wird seine Marktmacht ausnutzen, um bei Kontrolle über ein natürliches Monopol das Maximum an Monopolgewinnen herauszupressen. Das schlimmste natürliche Monopol, das wir haben, ist das Monopol über die Geldemission. Dabei ist es egal, ob dies privatwirtschaftlich organisiert ist (wie bei den Amerikanern mit der FED) oder nur privatwirtschaftlich kontrolliert wird (wie bei der EZB, bei der die Geschäftsbanken als Gatekeeper die Kontrolle über das emittierte Geld haben). Hier haben die Staaten jede politische Gestaltungsfähigkeit verloren - und das beim Herzblut einer Wirtschaft, dem Geld.
Richtig. Nur was ist Geld? In der klassischen Ökonomie ist das nur ein Schleier der die Tauschvorgänge verhüllt. Nach einer anderen Erklärung von Heinsohn ist es "Recht auf Eigentum". Was für mich mehr Sinn macht. Als solches hat da direkter politischer Einfluß nichts zu suchen. Die Politik kann auch über andere Dinge gestalten/verteilen (Steuern / Gesetze) und auch nur das was erwirtschaftet wird.
Das Problem heute ist IMO auch nicht, ob wir Schwundgeld oder Zinsgeld haben (die Diskussion ist akademisch, jede Form hat ihre Vor- und Nachteile), das Problem ist, daß die Inverkehrbringung des Geldes von einem Oligopol privater Banken kontrolliert und gesteuert wird. Dies aber unterliegt hundertprozentig der politischen Gestaltung, da die Geldemission selbst ein staatlich bis in alle Einzelheiten regulierter und kontrollierter Vorgang ist.
Da Widersprichst Du Dir? Oben schreibst Du "Hier haben die Staaten jede politische Gestaltungsfähigkeit verloren".
Hier auch mal als konkreter Vorschlag: Die Emission neuen Geldes als Kredit erfolgt nicht mehr an die Geschäftsbanken, sondern an die Staaten selbst, die das Geld dann innerhalb ihrer staatlichen Verantwortung zu investieren haben (in Infrastruktur, Sozialleistungen etc. pp.). Das Geld käme als Auftragsvolumen direkt in die Realwirtschaft und würde nicht im Investmentbanking versickern. Und Staat wie auch Wirtschaft wären an passenden Volumina staatlicher Leistungen tatsächlich interessiert.
Das ist ja auch nur ein Schleier (jetzt mal wirklich): Ob die Staaten nun direkt Kredit von der Zentralbank bekommen oder wie jetzt die Banken diese aufkaufen und dann an die Zentralbanken weiterverkaufen (Quantitative Easing) ist egal.
Problem ist dieses absurde Sparen in der Eurozone (angebliche Gestaltungsunfähigkeit). Allen voran in Deutschland, die die Sparweltmeister werden wollen während andere Europäer nur mit dem Kopf schütteln.
Investmentbanking um Firmen mit Eigenkapital zu versorgen oder bei Fusionen zu beraten halte ich nicht für schlecht. Natürlich gibt es da noch andere Zweige wie kurzfristige Spekulation etc.
Wenn wir jetzt von einer rein ökonomischen Betrachtung auf eine gesamtgesellschaftliche Betrachtung übergehen muß man sagen, daß die Ökonomie und ihre Gestaltung schlußendlich nur dazu dient, daß der Staat seine Aufgaben erfüllen kann. Unterhalb dieser Ebene ist Ökonomie Privatvergnügen und unterliegt schlußendlich denselben Regeln wie jedes Privatvergnügen: Die Freiheit des Einzelnen (auch die ökonomische Freiheit) hat die Freiheit anderer nicht einzuschränken. Da aber im Kapitalismus ALLE Werte monetärem Vorbehalt unterstellt werden und Freiheiten erkauft werden müssen (sic!) muß der Staat sicherstellen, daß die ökonomische Macht eben nicht mehr in die Freiheitsrechte der Bürger eingreifen kann - was heißt, daß es simpel Staatsaufgabe ist, den Bürger ökonomischer Erpreßbarkeit zu entheben. Daraus folgt für mich, daß die Sicherstellung grundsätzlicher Bedürfnisse (hier kann man sich gern an der unteren Ebene der Maslow-Bedürfnispyramide orientieren) tatsächlich Staatsaufgabe ist und über die Ökonomie refinanziert werden muß. Übrigens halte ich die Sicherstellung eines definierten Lebensniveaus für eine Privataufgabe, die auch gern über Priavtversicherungen abgewickelt werden kann. Oder anders gesagt: BGE für alle, aber auf Grundsicherungsniveau. Und dafür Aufgabe aller anderen staatlichen oder öffentlich-rechtlichen Versorgungswerke. So würde mein marktwirtschaftlicher Ansatz aussehen: Der Staat begrenzt nach unten (Sozialstaatsprinzip) und nach oben (ökonomische Erpreßbarkeit des Staates durch "systemische" Kapitalballungen vermeiden) die ökonomische Freiheit. Und mischt sich ansonsten nicht ein.
Stimme ich Dir im Prinzip zu. Vielleicht kein BGE (die langfristige Finanzierung mit Krediten und die damit verbundene Inflation wären vielleicht noch mal zu überdenken ;-)) aber eine gerechtere Sozialpolitik sollte es auf jeden Fall geben (dazu gehören für mich auch Vermögens-/ und Erbschaftssteuer).
Hier sind wir dann aber im Bereich von aktiver, gestaltender Politik. Die im psychtisch-bipolaren Diskurs der deutschen Politik nicht mehr möglich ist.
Die im Artikel behauptete allgemeine Verhöhnung von Marx kann ich zumindest bei einigen aktuellen angelsächsischen Ökonomen die ich kenne nicht finden (Krugman, Stiglitz, ...).
Nein, die kann ich eigentlich nirgendwo erkennen. Marx' Analyse wird eigentlich nirgendwo ernsthaft bestritten oder gar lächerlich gemacht, sie ist meines Wissens nach auch immer noch VWL-Lehrstoff. Im politischen Diskurs kommt sie nicht vor, weil sie eben unideologisch ist und damit auch als Handlungsrichtlinie nicht taugt - da kommt dann eher das Manifest der kommunistischen Partei ins Spiel.
Und naja, daß dem Pöbel über die Vereinfachungsmechanismen der Massenmedien Marx als der Buhmann präsentiert wird - geschenkt...
Stimmt so pauschal nicht. Z.B. In der Reihe "Der Kapitalismus" auf arte
kam genau mein Eingangsatz vor :-)
https://www.youtube.com/watch?v=rwl5z9FH5qc