Klaus N schrieb am 20.12.2016 19:25:
the observer schrieb am 20.12.2016 18:37:
Und Du irrst Dich dennoch: Das Prinzip der Falsifikation behandelt er in der Logik der Forschung, gleich im ersten Kapitel Grundprobleme der Erkenntnislogik, im Abschnitt Abgrenzungskriterium. Du kannst Dich selbst davon überzeugen:
https://monoskop.org/images/e/ec/Popper_Karl_Logik_der_Forschung.pdfDanke für den Link. Ich glaube, ich kann den Irrtum jetzt auch aufklären. Wahrscheinlich war ich nicht ganz präzise. In der Offenen Gesellschaft geht es unter anderem um die Pseudowissenschaftlichkeit von Marx (aber mehr noch seiner Anhänger). Die fehlende Falsifizierbareit wird da meiner Erinnerung nach mit abgehandelt, aber nicht gesondert abgeleitet. Wir haben wahrscheinlich beide ein bisschen recht.
Hmm, Popper und die Kommunisten... Ein extra Kapitel für sich. Sein kurzes Techtelmechtel mit ihnen hat ihn wohl für sein weiteres Leben beprägt. Allerdings, obwohl ich ich früher mir Marx' Werken befassen mußte, bin ich in den Wirtschaftswissenschaften und auch in den entsprechenden Teilgebiet der Philosophie nicht sattelfest.
Aber abgesehen davon ist das Falsifikationsprinzip, obwohl grundsätzlich richtig und wichtig, nicht unumstritten. Zumindest findet es in der Forschung nicht diese Anwendung. Denn würde man es konsequent anwenden, gäbe es wohl kaum eine neue oder bessere naturwissenschaftliche Theorie, denn jede Theorie ist widersprüchlich oder zeigt Abweichungen zu empirischen Erkenntnissen, hätte also längst verworfen sein müssen.
Ich würde es anders ausdrücken. Keine Theorie ist endgültig, aber manche Theorien sind besser untermauert als andere, manche sind in sich widersprüchlich und deshalb schon denklogisch falsch, und manche sind durch Experimente widerlegt und daher vorläufig falsch.
Eigentlich sollten die "denklogisch falschen" Theorien keinen Bestand haben, ja gar nicht erst aufgestellt worden sein, denn eine der Forderungen an das Erstellen von Theorien, eine der Regeln fordert ihre logische Konsistenz, Widerspruchsfreiheit, Notwendigkeit, Vollständigkeit. Ist das nicht von Anfang an gegeben, dürfte die Theorie gar nicht erst Einzug ins Wissenschaftsgebäude halten.
Und man verwirft keine Theorie, nur weil sich durch empirische Forschung oder Experiment Erkenntnisse ergeben, die mit der Theorie nicht übereinstimmen. Denn dann müßte das Standardmodell der Astronomie verworfen werden, denn es erklärt nicht das Problem der dunklen Materie und der dunklen Energie. Und, sollte es sich erweisen, daß die Erforschung der dM und dE zur Entdeckung neuer Elementarteilchen führen, müßte man das Standardmodell der Teilchenphysik gleich mit entsorgen. Solche umfassenden Theorien würde ich auch eher nicht als falsch, sondern als unvollständig bezeichnen.
Nein, Theorien dürfen ruhig die eine oder andere Lücke oder Widersprüche beinhalten, wenn sie ansonsten gute und belastbare (in Sinne ihrer Anwendbarkeit in der Praxis) Erklärungen liefern.
Ebenso problematisch ist seine Ablehnung der Methode der Induktion, also des Schließens vom Besonderen, vom Emprischen auf das Allgemeine. So wäre es seiner Auffassung zufolge wissenschaftlich nicht gerechtfertigt, aus der Beobachtung, daß die Sonne heute morgen im Osten aufging und abends im Westen unterging, den schluß zu ziehen, daß das auch morgen so sein wird.
Lehnt er damit wirklich die Methode ab, oder weist er nur auf eine Schwäche der Methode hin, um uns daran zu erinnern, dass unser Wissen immer unter Vorbehalt steht?
Du kannst es ja selbst nachlesen. Er spricht gleich vorn in der Einleitung über die Induktion von einer "weitverbreiteten, von uns aber nicht geteilten Auffassung". Wobei mir unklar ist, wofür der Plural steht.
Andererseits spricht Popper von einem Bewährungsgrad: Je häufiger eine Theorie ihrer Widerlegung widerstanden hat, um so größer wird ihr Bewährungsgrad. Das ist aber nichts weiter als eine Einführung der Induktion durch die Hintertür: Je mehr Einzelbeobachtungen, je mehr Einzelexperimente mit der Theorie übereinstimmen (sie nicht widerlegen), umso zuverlässiger ist der Schluß vom Einzelnen aufs Allgemeine - die Methode der Induktion.
Siehe dazu auch Nassem Taleb und seinen schwarzen Schwan bzw. das Gleichnis vom Truthahn.
siehe hier:
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/themen/krisentheorie-da-staunte-der-truthahn-1713270.html
Ich meine, da wollte Taleb auf andere Aspekte hinweisen. Wahrscheinlichkeitstheorien beschäftigen sich eher mit der Zufälligkeit, der Wahrscheinlichkeit bzw. dem Grad der Unvorhersehbarkeit seltener Ereignisse und ihrer folgen; da geht es um Statistik.
Was schwebt Dir als Beispiel für nicht falsifizierbar in der Naturwissenschaft vor?
Die Urknalltheorie beispielsweise, aber auch andere astrophysikalische Theorien.
Ja, an die hatte ich auch gedacht. Wobei ich da trennen würde: Die Urknalltheorie scheint (soweit ich das überblicken kann) sich zumindest bis zu einer infinitesimal kleinen Zeit nach dem Urknall und unter der Annahme, dass die bisher beobachteten physikalischen Gesetze auch zu dieser Zeit galten mit dem, was wir bisher über das Universum wissen zu decken. Vermutlich (auch da habe ich zu wenig Spezialwissen) sind auch Experimente denkbar, deren Ausgang die Urknalltheorie falsifizieren könnte. Was aber vor dem Urknall war, darüber kann die Wissenschaft nur spekulieren.
Du hast recht; der Urknall selbst gehört nicht zur gleichnamigen Theorie; das kann unsere Physik nicht liefern. Wir können sie unmöglich falsifizieren, weil es nur ein Universum gibt, das wir untersuchen können, und weil das sich nicht unseretwegen noch einmal in seinen Ausgangszustand begibt, nur damit wir es empirisch untersuchen können. Wir können nur Teilaspekte untersuchen, wie etwa die von der Theorie vorhergesagte und tatsächlich vorgefundene Hintergrundstrahlung.