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  • Edelkastanie

842 Beiträge seit 21.07.2003

Direkte Demokratei funktioniert bestens

kneischi schrieb am 31. Mai 2005 13:11

> Das französische Referendum ist für mich der Beweis, das so was wie
> direkte Demokratie nie funktionieren kann, schon gar nicht bei so
> komplexen Fragestellungen!

Äh, die Bundestagsabgeordneten waren auch nicht gerade sonderlich
über die komplexen Fragestellungen, über die sie entschieden hatten,
im Bilde. Guckst Du hier:

http://www.ndrtv.de/panorama/data/abstimmung_ueber_eu_verfassung.pdf

Ich behaute einfach mal, der durchschnittliche französische
Stimmbürger hat sich sorgfältiger mit dem Thema auseinandergesetzt
als etliche Bundestagsabgeordneten.

Im übrigen beweist die Schweiz seit 150 Jahren das Gegenteil. Die
Schweizer dürfen ja wirklich über alles abstimmen. Trotzdem blüht das
Land. Dabei ist die Schweiz auch noch ein Vielvölkerstaat, wo
gewissenlose Populisten eine Nationalität gegen die andere ausspielen
könnten. Trotzdem passiert das nicht wirklich.

Natürlich sind die meisten Bürger nicht bereit und/oder in der Lage,
die Verfassung als Ganzes zu verstehen und sich zu diesem gewaltigen
Komplex eine vollständige Meinung zu bilden. Aber die Grundfrage, um
die es hier ging, haben die Franzosen durchaus erfasst: Soll es mit
dieser dem Neoliberalismus und dem Abbau des Sozialstaates
verpflichteten EU weitergehen können? Die Franzosen haben nein
gesagt. Jetzt ist es an den EU-Institutionen, die Konsequenzen aus
dieser Entscheidung zu ziehen,

> Die Bürger können eine solche
> Fragestellung einfach nicht von ihrer lokalen Politik trennen,

Die Abgeordneten in den nationalen Parlamenten können das noch
weniger. Die Unionsspitze soll ja vor der Abstimmung im Bundestag zur
Disziplin aufgerufen haben, nicht zuletzt um des äußeren
Erscheinungsbildes der Union in der Öffentlichkeit. Das hat noch
weniger mit dem Thema zu tun als der Frust über die neoliberale
Politik der Regierung Raffarin in Frankreich.

> eigentlich haben nur die Rechtsradikalen ehrlich gegen die
> Europapolitik gestimmt. Der Rest hat aus einem "Gefühl" heraus

"Aus einem Gefühl heraus" ist der falsche Ausdruck. Das Stimmvolk hat
eine Paralelwertung in der Bürgersphäre vorgenommen und das auf die
einfache Formel gebracht: Die EU-Verfassung steht für diese EU. Diese
EU steht für Neoliberalismus, Neoliberalismus ist schlecht: Also ist
die Verfassung abzulehnen.

Simpel, aber logisch und auch treffend.

> genau mit denen Argumenten gegen die Verfassung gestimmt die die
> Verfassung ja eigentlich gerade angeht!

Wie der TP-Artikel so schön hervorhebt, fehlen in der Verfassung
Bestimmungen, die den Mitgliedsstaaten ein Minumum an sozialer
Sicherung vorschreiben. Gleichzeitig wird "freier und unverfälschter
Wettbewerb" gefordert. Begünstigt werden also Wirtschaftsordnungen,
in denen Arbeitskräfte möglichst billig sind, also Volkswirtschaften,
in denen es möglichst wenig soziale Absicherung und möglichst
schwache Gewerkschaften gibt.

Damit schreibt diese EU-Verfassung ein asoziales Gesellschaftsmodell
fest. Auch wenn die Verfassung ihre positiven Seiten hat: Das
asoziale Gesellschaftsmodell, das dieser Verfassung zugrunde liegt,
verbietet es geradezu, dieser Verfassung zuzustimmen.

Genau das haben die Franzosen richtig erkannt.

> natürlich ein Kompromiss, deswegen wird auch jeder Bürger in ihr
> etwas finden was ihm nicht passt,

Ich finde nicht nur etwas, was mir nicht passt. Ich finde in dieser
Verfassung etwas, was ich zuftiefst verabscheue.

> aber gerade die großen Länder
> profitieren doch am meisten von der neuen Verfassung.

Beweis durch Behauptung? Die Bevölkerungen der großen Länder der
alten EG sind die Hauptverlierer eines ungehemmten Neoliberalismus,
denn es sind ihre Arbeitslätze, die von der Wirtschaft vernichtet
werden.

> bleibt es nämlich wahrscheinlich auf Jahre hinaus beim
> undemokratischen Kommissionsprinzip in dem der einzelne Wähler
> überhaupt keinen Einfuß auf deren Zusammensetzung hat.

Auch unter der Verfassung hätte die Macht weiterhin überwiegend bei
der Kommission und beim Rat gelegen. Durch die Ausweitung von
Mehrheitsentscheidungen wäre die Kommission eher noch mächtiger
geworden. Nein, es ist wirklich besser, dass alles beim alten bleibt.
Das Ziel jeder Reform der EU muss es sein, den Einfluss der
Kommissionsbürokratie einzudämmen. Insofern wäre die Verfassung ein
Schritt in die falsche Richtung gewesen.

> Auch das
> Subsidiaritätsprinzip, das eigentlich ein Mittel gegen ausufernde
> Bürokratie in Brüssel sein sollte tritt nicht in Kraft.

Das Subsidiaritätsprinzip wurde schon im Vertrag von Maastricht
besonders betont. Da hätte die Verfassung nichts neues gebracht.

> Die französischen Wähler wollten die eigene Regierung abstrafen und
> haben sich doch nur ins eigene Fleisch geschnitten, gerade beim
> jetzigen Einstimmigkeitsprinzip werden keine wirksamen Gesetze gegen
> Lohn- und Sozialdumping auf europäischer Ebene durchsetzbar sein,

Unfug. Die Verfassung verbietet ausdrücklich EU-Vorschriften auf dem
Gebiet der sozialen Sicherheit.

-ek-

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