morgen Stern schrieb am 17.05.2021 08:44:
Hmmm. Das verortet uns in ungefähr der gleichen Periode, aber in unterschiedlichen Geschmacksuniversen.
Aber ich teile deine Auffassung, dass der NMA-Text nicht die Mehrheitsmeinung widerspiegelt. Die meisten suchen "guilty" ausserhalb von sich selbst. Ausländer, Kapitalisten, der Papst, die Israelis, "Das System", you name it. Leseproben stets hier im Forum.
Ja, sad thing. Ich finde sehr bedauerlich, dass es keine weite Einsicht dafür gibt, dass nicht nur aus dem vermutlich hierzulande kaum von jemandem echt geglaubten Karma-Begriff, sondern auch aus dem zwar noch immer randständigen, aber verbreiteteren Totalitätsbegriff folgt, dass wir uns mittelbar selbst antun, was wir den Nächsten antun.
Ja, nicht meine Sichtweise. Es fällt mir aber schwer, meine Handlungsmaximen kurz und knackig zusammenzufassen. Läuft wahrscheinlich auf eine nicht-metaphysische Form der "Goldenen Regel" (was du nicht willst, dass man dir tu ...") hinaus. Schwierig genug.
NMA war schon ein wenig aus der Mode als ich da hinein wuchs. Ich vermute, du bist näher an meinem Bruder, Jahrgang '72, als an mir, '77, dran.
Hm, was hörst du denn so? Rick Astley? Oder gutbürgerlich lieber Bach und Mozart?
oh, dann bin ich doch älter: Jahrgang 64.
Ja, Bach ist ein grosser Teil der Playlist, vor allem in den Glenn Gould Version (Klavier) und Rilling (Kantaten).
Sonst Paul Weller in allen Deklinierungen, Grateful Dead, Bossa Nova und sonstigen brasilianischen Pop, Jazz (in letzter Zeit viel Coltrane) und noch ein paar andere seltsame Kategorien.
https://www.youtube.com/watch?v=UlFNy9iWrpE
Ich fürchte, es ist alles beim Alten geblieben. Das Bewusstsein für die aufkommende Naturkatastrophe ist zwar da, aber in der Debatte argumentiert jeder mit zunehmender Lautstärke warum jede andere Gruppe zahlen muss/schuld ist, ausser der eigenen.
Mal abgesehen von den Öko-Kapitalien, die so frohlocken dürften wie ihre Partei. Ich bin da zwar kein Fan von, aber Green New Deal wäre mir zumindest lieber als gar kein New Deal. Öl-Industrie wird das aber vermutlich so lange zu verhindern wissen, wie's nur irgend geht.
Die Grünen sind mir zu protestantisch, zu Deutsch, zu demagogisch, zu sehr Gesinnungsethik.
Oh, zu Adorno habe ich keinen Zugang. Ich finde die Quellen, aus denen er trinkt schon problematisch (Hegel, Marx, Freud) und was er daraus macht zu dunkel. Ich bin da wahrscheinlich zu sehr von Schopenhauer, Popper und Mill beeinflusst.
Jedenfalls danke für die freundliche Diskussion und nochmal die besten Wünsche für Deinen Bruder. Ich fühle mich seltsam mit ihm verbunden und finde, dass man vielleicht aus diesen Seltsamkeiten ein wenig Hoffnung für homo sapiens schöpfen kann.
Sehen wir mal davon ab, dass die im Gegensatz zu Adorno noch nichts von Auschwitz und Hiroshima wissen konnten, finde ich Mill und Schopenhauer viel düsterer als Adorno. Mill war für Arbeitszwang, ein unbekehrter Scrooge, Schopenhauer so negativ gegenüber dem Diesseits wie Buddha, aber im Gegensatz zu ihm ohne Zugang zum Nirvana. Poppers Licht reißt das im Dreigespann m. E. nicht raus:
Kann das sein, dass Du mit dem Arbeitszwang James Mill und nicht J.S. Mill meintest?
Aber bei allen dreien nehme ich ja nur Gedanken mit, nicht das Gesamtwerk. Schopenhauer vor allem wegen seiner Liebe zur klaren Sprache und den klaren Gedanken, nicht so sehr wegen seines Pessimismus. Mill wegen seinem humanistischem Liberalismus, Popper als kritischer Rationalist und "offene Gesellschaft" einschliesslich der Hegel/Marx/Freud-Kritik.
Adorno ist bei aller Negativität weit heller als die drei zusammen. Unverstanden dürfte von dir sein, dass Adornos Negativität metaphorisch gesprochen einen Gravitationslinseneffekt erzeugt, der Lichtes viel klarer sehen lässt als ohne die realistische Negativität möglich.
Allerdings ist Adorno in jenem Beitrag von mir auch bloß intellektuelles Sicherheitsnetz und Appetizer gewesen, zentraler ist Gretas Rede vor der UN. Ich find's schwierig, tp einfach bloß mit Mystizismus zu füllen - ohne zumindest zu verstehen zu geben, dass ich informierter über die Dialektik der Aufklärung bin als vermutlich mindestens 95 % der Leute hier. Mystisches war schon der Moderne suspekt, die Postmoderne hält es im Zweifelsfall unmittelbar für Spinnerei, schlechten Witz oder Abzocke.
Auch ich bin dem Mystizismus gegenüber eher skeptisch eingestellt, wahrscheinlich weil ich in der Beziehung eher unmusikalisch bin.
Schopenhauer ist übrigens so ziemlich das einzige im engeren Sinne Philosophische, das mein Bruder rezipierte. Ihr ähnelt euch vielleicht tatsächlich stark. Ich verstehe allerdings nicht recht, was du mit "Seltsamkeit" meinst, am ehesten deute ich das als subtile Andeutung deiner suizidalen Tendenzen, vermutlich meinst du aber etwas Tieferes, das mir gerade dunkel bleibt.
Ich meinte eher das ermutigende Gefühl, dass wir alle fähig zum "Mitleid" (im Wortsinn, nicht in der herablassenden Bedeutung) sind, dass uns allen das Leid der anderen nicht egal ist, und wir leicht dazu Zugang haben. Tief ist das nicht, nur eine fundamentale und leicht vergessene Wahrheit