Wirklich interessant, was man in meine Aussagen alles hineininterpretieren kann. Also was will ich hören: Die Beantwortung meines Eingangs-Posts wäre ein Anfang. Aber vielleicht können Sie das auch nicht, schließlich teilen sie die Kritik an der herrschaftskritischen Linken.
archenoe schrieb am 11.04.2021 16:06:
Wenn Sie alles , was aus der "linken Ecke" kommt, bereits meinen als Bullshit brandmarken zu können, dann wird's halt eng mit Erklärungen.
Tue ich nicht. In meinem Eingangspost lehne ich nur eine sehr oft gehörte Erklärung der Linken für die aktuelle Situation ab! Das tue ich weiterhin
Was wünschen Sie sich denn? Ein Wirtschafts-, Staats- und Gesellschaftssystem, das als oberste Priorität Gesundheits- und Lebensschutz seiner Teilnehmer hat? Dann sind Sie hier falsch.
Will ich nicht. Ich lehne einen Nanny Staat ab. Risiken gehören zum Leben. Tatsächlich macht das Eingehen von Risiken häufig das Leben erst lebenswert. Und nur das Eingehen von Risiken hat die Menschheit vorangebracht. Was ich will, dazu muss ich ein Buch schreiben. " Dinge kann ich ja nennen die der Staat leisten kann und sollte:
Ein Bildungssystem, welches allen Menschen ermöglicht, einschätzen zu können, welche Risiken man eingehen kann und welche man besser nicht eingeht.
Ein Gesundheitssystem, welches in der Lage ist, jedem Menschen eine bestmögliche Versorgung zu bieten, in jeder Situation, auch wenn ein Mensch sich verschätzt hat beim Eingehen von Risiken.
Von mir aus kann er denen, die in Situationen wie der aktuellen besondere Schutzbedürfnisse haben, diese auch leisten bzw. Rahmenbedingungen so setzen das die Menschen sich möglichst gut selbst schützen können, aber das war es dann auch, was ein Staat leisten sollte.
Halt! Nicht auswandern, falls Sie mir zustimmen. Wo wollen Sie denn hin? Ist das irgendwo auf diesem Planeten der Fall? Ok, in Asien, speziell in Ost- und Südostasien sieht es deutlich besser aus mit dem Lebensschutz, aber da wollen Sie doch bestimmt auch nicht hin, weil da angeblich alles böse ist, oder? Vielleicht Kuba? Sorry!
Ja das sehe ich letztendlich genauso. Über Kuba habe ich in der Tat kurz nachgedacht. In Kategorien von gut und böse denke ich nicht. Ich nehme an sie auch nicht.
Ihre Enttäuschung über herrschaftskritische Linke teile ich, allerdings wahrscheinlich in entgegengesetzter Richtung wie Sie, denn die Begriffe sind doch nicht von den Linken umdefiniert worden, sondern von staatlichen Instanzen oder von den Querdenker*innen.
Ist ja durchaus richtig, dass ein Staat, der auf Konkurrenz setzt und dann in einer mitverschuldeten Krise von Solidarität salbadert, so etwas wie Neusprech praktiziert und nicht glaubwürdig ist.
Ich bezweifle, das die Querdenker aktuell Begriffe wie Solidarität umdefiniert haben. Das waren allein Politik und Medien. Und ein großer Teil der Linken haben diese Umdefinition unkritisch übernommen. Sie beteiligen sich an dieser Heuchelei oder leisten mindestens Beihilfe dazu
Nur merken Sie denn gar nicht, dass Sie sich die falschen Gegner aussuchen?
Ich suche mir nicht die falschen Gegner aus? Ich will meine Verbündeten zurück! Nur sind die vollauf damit beschäftigt, die falschen Gegner anzubellen. Politisch irrelevante Idioten mit nutzlosen Gegendemos aufzuwerten und solange Nazi zu brüllen, bis auch der letzte Fascho glaubt, er müsse auf Anti-Corona-Demos gehen weil dort ja laut allen Medien alle seine Freunde sind, ändert nämlich gar nichts. Es stabilisiert den Status Quo, thats it! Und es schliesst den Raum für sinnvolle Kritik.
Solidarität ist doch nichts per se Schlechtes und in einer krisenhaften Situation ein Gebot der Vernunft und der Empathie zugleich. Wenn allerdings dieser Staat das fordert, dann ist das unglaubwürdig, aber doch nicht wenn es "Linke" fordern.
Doch, wenn der Staat es fordert und das offensichtlich unglaubwürdig ist, und die Menschen, die das kritisieren, unterschiedslos als Querdenker diffamiert werden und die Linke nicht gegen den Staat demonstriert aber schon gegen das, was der Staat zu Querdenkern erklärt, dann ist auch die Linke Solidaritätsforderung unglaubwürdig. Auch wenn sie vielleicht anders gemeint ist. Sie wird eben nicht anders artikuliert!
In den weiteren Absätzen Ihres Beitrages sind Sie für mich kaum noch verständlich. Was meinen Sie?
Wenn Sie jedoch möglicherweise meinen sollten, es handele sich nicht um eine Pandemie oder wenn doch, dann sei diese aber ziemlich harmlos, weil fast nur ältere Gebrechliche daran sterben, dann, bedauerlich, lässt sich mit Ihnen ohnehin nicht diskutieren.
Meine letzten Freundinnen sind Intensivpflegerin und Chirurgin hier in Berliner Krankenhäusern. Zu meinem Freundeskreis zählen weitere Intensivpflegekräfte, mit denen ich mich immer mal wieder über die aktuelle Situation austausche. Ich weiß sehr wohl, was hier in den Krankenhäusern los ist.
Ich habe mitbekommen, wie sie am Beginn der Krise, als niemand wusste, was da kommt, um Schutzausrüstung betteln mussten. Wie sie den Arsch hinhalten mussten und angetreten sind im Kampf gegen einen wirklich noch unbekannten Feind während das Land sich unter dem Bett versteckt hat oder sich die Angst um den eigenen faltigen Arsch auf den Balkonen vom Leib zu klatschen. Und sich darauf Wunder was einzubilden (Solidarität, wa) Hier empfehle ich das Buch "Euren Applaus könnt ihr euch sonst wohin stecken". Darin steht nämlich, was ich auch erlebt hab.
Wie meine Freundin nämlich auch vor Corona schon immer mal wieder nach dem Dienst weinend in meinen Armen lag wegen der unhaltbaren Zustände auf den Intensivstationen, insbesondere im Winter.
Und ja, die aktuelle Situation ist schlimmer als zu normalen Grippe Zeiten. Man hat in ein Faß, das schon lange voll war und bei dem immer Mal wieder ein Tropfen das Ganze zum Überlaufen gebracht hat, jetzt einen Eimer dazu gekippt. Und was passiert seit einem Jahr? Genau nichts!
Es wird soviel mehr Personal benötigt. Politik und Gesellschaft begnügen sich damit, die Pflegekräfte mit einem moralischen Dilemma zu erpressen. Man ruht sich darauf aus, das die eh nicht protestieren weil sie es nicht können. Denn wenn sie streiken, dann würden ihre Patienten sterben. Und so schindern sie sich eben kaputt, mit dem Ergebnis das die Situation immer schlimmer wird. Erst recht wenn man sieht, was rein demografisch in den nächsten 20 Jahren auf das System zurollt. Dagegen wird Corona ein Witz werden, selbst wenn wir es ausrotten sollten. Was ich ebenfalls für einen absurden Ansatz halte.
Und außerdem: als ich zur Schule ging, starb ein Mädchen in meiner Klasse an Krebs. In der Klasse meines Bruders genauso. beide 17 oder 18 Jahre alt. Die beste Freundin meiner Mitbewohnerin starb vor ein paar Jahren auch an Krebs. Anfang 30. Ja, es gibt tatsächlich Dinge, die ich für schlimmer halte als Corona. Meine Oma sitzt im Pflegeheim. Ich konnte am Montag ihren 90. nicht mit ihr feiern. So kaputt, wie sie ist, wird das höchstwahrscheinlich ihr letzter Geburtstag gewesen sein. Ich glaube, ihr ist scheißegal, woran sie stirbt. Aber das sie es allein tut muss, ist ihr nicht egal.
Kurz:
Als Linker weiß ich, dass der Staat als "ideeller Gesamtkapitalist" für v.a. die großen Kapitalunternehmen und die möglichst reibungslose, also möglichst profitable Kapitalverwertung mitverantwortlich dafür ist, dass es diese Coronapandemie überhaupt gibt, und hauptverantwortlich dafür ist, wie schlecht er darauf vorbereitet war, und allein dafür verantwortlich ist (wenn auch unter Druck des großen Kapitals), wie er mit seinen wankelmütigen und teils irrwitzigen Maßnahmen die Coronapandemie tendenziell noch verschärft.Das alles wollen Sie nicht hören? Warum? Was wollen Sie denn hören?
Es gibt viel mehr, was ich gern mal hören würde: Welche Auswirkungen haben Bewegungsmangel, Stress, fehlende Sozialkontakte etc auf das Immunsystem aller Mitglieder der gesamten Gesellschaft. Was bedeutet das für die Lebenserwartung eines jeden? Wieso werden von der Politik nur die wissenschaftlichen Disziplinen hinzugezogen, die geeignet sind, ihre Politik des fortgesetzten Ausnahmezustands zu rechtfertigen?
Was ich von Linken erwarte:
Echte Solidarität. Demos (gern mit Abstand und Maske) für eine deutliche Verbesserung der Personalsituation in Krankenhäusern, um wenigstens mittelfristig aus der Situation des fortgesetzten Ausnahmezustands herauszukommen. Dafür könnte man ja gerade das konservative Bürgertum und ihre politische Vertretung beim Wort nehmen. 2015 kam gerade von dort häufig die Aussage, man brauchte die Fachkräfte unter den Geflüchteten. Der Faschopöbel, der jetzt für das Grundgesetz protestiert, dem war das damals schon egal. Jetzt hatte die CDU, angeblich nach links gerückt aber tatsächlich nur das Land nach rechts geschoben, ein ganzes Jahr Zeit, dort Ausbildungsinitiativen anzustoßen. Nichts ist passiert. Man könnte fast meinen, Merkel meinte damals, wir schaffen das, die soziale Frage, die jetzt im Jahr 2015 wieder hochkocht, durch eine identitätspolitische in den Hintergrund zu drücken.
Nehmen wir sie beim Wort! 10% der allein 2015 gekommenen wären 100.000 neue Pflegekräfte. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit und ne unbegrenzte Aufenthaltsgenehmigung als Motivation. Klingt erst mal utilitaristisch. Ist es auch. Maximaler Nutzen für alle Parteien. Die Personalsituation würde sich in den nächsten Jahren entspannen. Die Basis für eine Politik der Angst würde wegbrechen. Die dummen Gesichter der Faschos wären ein Traum, wenn sie merken, das die Geflüchteten, gegen die sie bis vor Corona protestiert haben, die Garanten der Freiheiten wären, für die sie jetzt angeblich auf die Straße gehen. Das könnte den Blick auf Migration im Land und in ganz Europa ändern.
(Ich würde das EU weit empfehlen, Corona fickt die Gesundheitssysteme bei den Opfern deutscher Austeritätspolitik härter als hier. Und die Bilder dort kollabierender Gesundheitssysteme werden hier für Rechtfertigung von Machtpolitik genutzt von den Verantwortlichen für diese Politik)
Ich denke, wo das Geld für diese Politik herkommt, da hätten wir beide ähnliche Ideen ;-) !
Aber ich sage auch: wenn diese Politik nicht kommt, dann sollten die Pflegekräfte auf Arbeitsschutzmaßnahmen bestehen! Und das bedeutet auf ITS Pflegeschlüssel max 1:2 und nicht wie jetzt 1:3 oder 1:4. Alles was darüber hinaus geht, wird eben triagiert und bekommt Paliativ, wenn sie es nicht aus eigenen Kräften schaffen. Und die Linke sollte nicht solidarisch sein mit einer Gesellschaft, die letztendlich aus Gier an der Erpressung derjenigen beteiligt, die soziale Berufe gewählt haben. Und zur Aufrechterhaltung dieser Obszönität das Grundgesetz einstampft und die Exekutive von der Kette lässt.
Eigentlich sollten Linke am besten wissen, das Macht in den Händen der Exekutive, insbesondere wenn sie vom konservativen Bürgertum dominiert wird, sich bei der nächstbesten Gelegengheit gegen sie richten wird. Alberne Sticker *Projekt XYZ bleibt* (und ist jetzt doch geräumt) die hier überall in Berlin kleben, geben mir recht, gerade im Corona Jahr.
Da erwarte ich Demos, frei von Nazis, gegen die aktuelle Politik. Wer sollte besser dazu in der Lage sein als Demo-erfahrene linke Strukturen. Freiräume für Protest, wo jeder hin kann, der nicht als Fascho in Erscheinung tritt. Und es damit unmöglich machen, Protest als rechts zu framen. Das wäre mal ein Signal. Anstatt Demos sogenannter Querdenker aufzuwerten kann man mit ein paar 100 Ordnern das Einsickern von offensichtlich bekloppten in eigene Demos verhindern. Die Resourcen sollten gebündelt werden und auf den stärksten Gegner losgelassen werden. Die Querdenker kann man auch einfach ignorieren.
Momentan erscheinen Querdenker und im Parteienspektrum AfD als einzige Opposition gegen den Status Quo. Bei einer Politik, die nicht Willens oder in der Lage ist, die Situation nicht immer weiter zu verschärfen. Was glauben Sie denn, wen die Leute wählen werden, wenn die aktuelle Situation immer weiter eskaliert? Ich wähle die PARTEI, aber die bekommt es leider nicht geschissen, ihre Satire so zu gestalten, das relevante Teile derjenigen, die nach Opposition suchen, diese auch als solche wahrnehmen.
In einem Land, wo auch so ein Vogel wie Hitler demokratisch gewählt werden konnte, sollten wir uns nicht zu sicher fühlen. Erst recht, wenn jetzt angeblich demokratische Parteien schon den Polizeistaat fertigstellen, den die AfD eigentlich selbst noch vorhatte, zu bauen.
Außerdem: vor 22 Jahren gab mir mein Schuldirektor mein Abi-Zeugnis in die Hand mit den Worten: Bleib wie du bist, die Welt braucht Querdenker.
Mich kotzt auch an, wer diesen Begriff gerade mißbraucht und mit Faschos demonstriert. Ich gehe da auch nicht hin. Aber tatsächlich konnten die größten Verbrechen in diesem Land begangen werden, weil zu viele Menschen nur noch auf Linie gedacht haben. Querdenker waren in diesen Situationen nie das Problem!
Denken Sie was sie wollen. Für mich wird Querdenken auch kein Schimpfwort, wenn der gesamte neoliberale Mainstream dagegen hetzt. Vielleicht würde es ja helfen, wenn Linke anfangen würden, Kampfbegriffe, die inflationär von Politik und Medien genutzt werden, kritisch zu hinterfragen anstatt sie zu übernehmen und die Kämpfe der obersten 1% auszutragen.
Zu guter Letzt: wenn sie behaupten, man könne mit Menschen, die eine andere Bewertung von Risiken vornehmen, nicht diskutieren, dann lehnen sie eine demokratische, liberale und pluralistische Gesellschaft ab! Rechte Parteien werden so Wahlen gewinnen. Linke eher nicht.
Schönen tag noch :-)