Die Gefahr beim Soufflé ist stets, dass es in sich zusammenfällt. Jaeger spannt einen weiten intellektuellen Horizont auf. Wir erfahren das vermeintliche Betriebsgeheimnis des bürgerlichen Staates:
Dass jede politische Entscheidung in der potentiellen Falschheit der ihr zugrunde liegenden Annahmen, der Möglichkeit unbeabsichtigter und unabsehbarer Konsequenzen, zuletzt auch der möglichen Fatalität und Negativität ihrer Auswirkungen korrigierbar sein muss. Spätestens durch die Abwahl der verantwortlichen politischen Entscheidungsträger.
Das hat zwar mit der politischen Realität bürgerlicher Staaten kaum etwas zu tun, entscheiden doch ganz andere Faktoren über Wohl und Wehe einzelner Politiker und sind es bei weitem nicht bloss die 'politischen Entscheidungsträger' selbst, die den Kurs der Dinge bestimmen, sondern vorwiegend eine aus dem Halbschatten heraus operierende Oligarichie, aber diese idealisierende Darstelltung des bürgerlichen Staates klärt den status ante quo. Wir leben in einer guten, vernünftigen Welt, nämlich der bürgerlichen von Wissenschaftlichkeit und Rationalität durchdrungenen.
In Jaegers Welt gibt es einen sauberen Dualismus. Hier die vernünftigen Entscheidungsträger und mündigen Bürger, dort die "politischen Dumpfbacken und bornierten Schreihälse", die ich im Corona-Zusammenhang meinerseits die 'Querschläger' nenne, um mich von ihrer schmeichelnden Selbstbezeichnung zu distanzieren. Wie immer man sie nennt, in Wirklichkeit sind das durchaus nicht nur irrationale Idioten, sondern in vielen Fällen Süppchenkocher, die die Pandemie zu eignen Zwecken zu nutzen versuchen. Viele von den vermeintlich auf der richtigen Seite Stehenden äussern Vorschläge und setzen Regelungen durch, die sich von denjenigen dieser Gruppe nur graduell unterscheiden. Entscheidend ist der Schutz des Kapitals, the show must go on, also Freizeit-Lockdown und ein wenig Homeoffice, ein wirkliches Herunterfahren sähe anders aus. Es resultiert ein Jojo-Effekt, das Problem zieht sich in die Länge, strapaziert die Rationalisierungsfähigkeiten der Gesellschaft.
Die Korrektheit dieser Aussage steht außer Frage.
Ein wunderbarer Satz, der eigentlich auch in der Bibel stehen könnte. Hier bezieht er sich auf den im Folgenden durchaus auch kritisierten Gabriel, aber durch diesen hindurch auf Jaegers Säulenheiligen Popper, der nach seiner Ansicht mit seiner Epistemologie jeglicher Diskussion ein Ende gesetzt hat. Mit der Falsifizierungspflicht in der Forschung verhält es sich zwar wie mit der nur vom Volkssouverän kontrollierten Macht der politischen Entscheidungsträger. Es handelt sich um eine heillose Idealisierung, die mit der Realität nur lose Berührungspunkte aufweist, was Feyerabend mit unzähligen Beispielen überzeugend aufgezeigt hat. Aber es macht sich ebenso gut, hinterlässt den Eindruck eines aufgeräumten Zimmers. Hell, freundlich, alles unter Kontrolle.
Besonders gut erkennt man dies in Brasilien, wo die Regierung sich bis heute weigert, in die Freiheitsrechte der Bürger einzugreifen - "um die Freiheit des Volkes zu verteidigen"...
Verdienstvoll ist es, auf den konsequentesten aller Querschläger hinzuweisen. Noch verdienstvoller wär ein Hinweis auf die realen Lebensverhältnisse der Mehrheit der Brasilianer gewesen. Freiheit ist bei weitem nicht deren grösstes Defizit. Freiheit ist auch nicht der Kampfbegriff Bolsos, der vielmehr mit geradezu entwaffnender Ehrlichkeit argumentiert, die brasilianische Wirtschaft dürfe nicht behindert werden und für den Covid-Tote so etwas wie der Ausschuss darstellen, der bei jeder Produktion anfällt. Für Jaegers Argumentationslinie ist Bolso komplett untauglich.
Es ist zu erwarten, dass uns der Staat und die Regierung so schnell wie möglich wieder in die Freiheit der so sehnlichst herbeigesehnten Selbstgestaltung unseres Lebens zurückkehren lassen wird.
Der Schlusssatz lässt endgültig die Luft raus. Die nicht weiter begründete Erwartung hätte gerade so gut ohne den ganzen Ausflug in die quasiphilosophischen Höhen geäussert werden können.
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (11.04.2021 20:26).