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  • knarr

mehr als 1000 Beiträge seit 14.05.2007

Ausnahmezustand zur Normalität

Danke, für den bemerkenswerten Zweiteiler zum Wochenende.

Was bei "Giorgio Agamben (2002) zur Metapher und Beschreibung der Welt wurde", nämlich, dass der Ausnahmezustand zur Normalität wird, war 1993 von Zygmunt Bauman als das Jahrhundert der Lager benannt.

Hinsichtlich der Kritik von Agamben hat Ulrich Bielefeld in einem lesenswerten Nachwort zur Neuausgabe von Zygmunt Bauman's Werk »Dialektik der Ordnung« geschrieben:

Es wäre interessant, Zygmunt Baumans Stimme hierzu zu vernehmen. Würde er sich Giorgio Agamben anschließen, der seinen ersten Zeitungsartikel zur Pandemie Ende Februar 2020 mit „Die Erfindung einer
Epidemie“ (abgedruckt in: ders., An welchem Punkt stehen wir? Die Epidemie als Politik, Wien (Turia + Kant) 2021) überschrieben hat? Wird das
Leben in der Pandemie auf das „rein biologische Überleben reduziert“
(ebenda, S. 59)? Das Überleben war für Zygmunt Bauman mit der Selektion verbunden, mit dem schlimmsten Fluch des Holocaust. Aber, so muss
man gegen Agamben sagen, es geht ums Leben, nicht ums Überleben. Der
Staat organisiert, besser und schlechter, das Überleben des Einzelnen, um
das Leben zu ermöglichen, nicht den Tod eines Kollektivs, der erst die
Überlebenden schafft. Es geht dann um Verantwortung, Affektivität und
Sozialität, um die Fähigkeit zum Mitleid. Und er muss sich zudem um das
Leben der Einzelnen kümmern, besser: helfen, dessen Voraussetzungen zu
erhalten. Es geht tatsächlich um die Freiheit: zu arbeiten, zu spielen, zu
lernen, zusammen zu sein – und natürlich auch zu konsumieren. Ein
Freund von mir wurde wegen einer Autoimmunkrankheit wochenlang ins
künstliche Koma versetzt, aufs Biologische, aufs ‚nackte Leben‘ reduziert.
Das Überleben diente in diesem Fall dem neuen Leben. Es kommt auf die
Unterschiede und ihre Interpretation an. Wie wir von Zygmunt Bauman
gelernt haben, die heutige Aufgabe der Intellektuellen.

Quelle/n:
> https://europaeischeverlagsanstalt.de/?p=754
Zygmunt Bauman
Dialektik der Ordnung
Die Moderne und der Holocaust
Neuausgabe mit einem Nachwort von Ulrich Bielefeld (als Leseprobe)

Im Artikel erwähnt:
> https://europaeischeverlagsanstalt.de/?p=686
Ernst Fraenkel
Der Doppelstaat
Mit einem Nachwort von Horst Dreier
Herausgegeben von Alexander von Brünneck (Vorwort des Herausgebers als Leseprobe)

Auch interessant:
> https://europaeischeverlagsanstalt.de/?p=695
Franz Neumann*
Behemoth
Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933-1944
Neu Herausgegeben von Alfons Söllner und Michael Wildt

*schlägt die Brücke zu Raul Hilberg's Werk »Die Vernichtung der europäischen Juden«** (Fischer Taschenbuch Verlag, ) und damit den Bogen wieder zu Zygmunt Bauman.

**das ist eine von drei mir bekannten Quellen, die an Janusz Korczak erinnern (Band 2, S. 529), eine andere der sich bisher aufgetanen Quellen ... ein Sonntagsrätsel ... wurde zur Inspiration für die »Dialektik der Ordnung«, mfG an die Redaktion.

Das Posting wurde vom Benutzer editiert (22.01.2023 16:18).

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