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  • Leser2015

476 Beiträge seit 19.11.2015

Re: Eine nette Vision, aber wir sind in anderer Richtung unterwegs

Emrymer schrieb am 25.01.2023 15:13:

Eine hübsche Vision, ja.

Allerdings sehe ich zwei Probleme.

Das erste ist das schon angesprochene Problem, daß es im zwischenmenschlichen Bereich keine unumstritten richtigen Lösungen gibt. Oft ist die beste Lösung nur eben die, mit der alle halbwegs gleich unzufrieden sind. Da hilft auch noch so viel Faktenwissen und "Expertise" nicht. Daran würde es dann schon scheitern.

Aber zweitens... muß man schon fast naiv sein, um zu meinen, daß wir auf dem Weg, auf dem wir sind, zu einem menschenfreundlichen oder auch nur menschenangemessenen Umgang von softwaregestützten Systemen mit Menschen kämen. Alles derzeit geht in die Gegenrichtung: schlechte Programmierer erlauben nur das, was sie für den "Normalfall" halten, und alle anderen Versionen werden blockiert. Die betroffenen anderen Menschen müssen den Preis dafür zahlen, sich "eben anpassen" und auf ihre Freiheiten, ihre Möglichkeiten, ihre Rechte verzichten. Weil... die Software ist eben so, da kann man nichts machen. Ende der Diskussion.

Das heißt, die "disziplinierte Demokratie" muß man sich vielleicht so vorstellen wie die alten mesopotamischen Völker ihren "kultischen Überbau": man kann zu jedem Zeitpunkt aus unbekannten Gründen und ohne eigenen Einfluß "in Ungnade fallen" und kann dann entweder aus dem Leben scheiden, mit beliebigen Opfern versuchen an die "höheren Gewalten" zu appellieren oder den Rest des Lebens als Bodensatz menschlicher Gesellschaft fristen. Die Software muß für unfehlbar gehalten werden (was früher nichtmal für "die Götter" galt), wenn sie etwas verusacht, dann muß man sich fügen. Wo kämen wir auch sonst hin...?

Was die Technik anbelangt, bin ich eigentlich Optimist, mich nerven eher Menschen, die widersprüchlich agieren und zugleich Erklärungen verweigern.

Aktuell wird etwa bei n-tv, meiner bevorzugten Informationsquelle im Leitmedienbereich, im Kontext eines Messerangriffs in einem Regionalzug in Schleswig-Holstein wieder einmal über ein generelles Messerverbot im öffentlichen Raum nachgedacht, obwohl dort bereits heute viele früher erlaubte verboten sind (https://www.anwalt.de/rechtstipps/kann-ich-jedes-messer-nach-dem-neuen-waffengesetz-besitzen-und-benutzen-192012.html), die übrigens auch der Selbstverteidigung dienen könnten und deren Verbot den eigentlichen Problemfällen egal sein dürfte. Parallel dazu glaubt man jedoch fest daran, dass zumindest im Ausland nur eine edle Kampfpanzerbesatzung eine bösartige stoppen kann, man also Waffenbesitz nach einer Unterweisung niemals vom aggressiven Missbrauch her denken und jeden Generalverdacht gegenüber an Waffen besonders geschulten Personengruppen vermeiden sollte. Tatsächlich wird aber keine Ausbildung einen Waffenmissbrauch prinzipiell verhindern können und durch eine mögliche weitere Gesetzesverschärfung die Bevölkerung unter Generalverdacht gestellt.

Von einer intelligenten Maschine, die natürlich so zu programmieren wäre, dass sie alle nur denkbaren Fragen gemäß gemeinwohlwerteorientierter ethischer Kriterien zu beantworten hätte, könnte man in solchen Fällen eine logisch nachvollziehbare Erklärung einfordern, die politisch verantwortliche Waffenfans regelmäßig verweigern. Sicher wird es schwierig sein, recht abstrakte Werte wie Freiheit oder die niemals quantifizierbare Menschenwürde so zu operationalisieren, dass eine lernfähige bloße Rechenmaschine überhaupt zu einem klaren Ergebnis kommen könnte, das jedoch naturgemäß eben keine typisch menschlichen Logikfehler und Selbstwidersprüche enthalten sollte. Zumindest als Assistenzsystem wäre es doch im Alltag eine gute Sache, wenn wissbegierige Menschen für jede beliebige Fragestellung eine in sich schlüssige Antwort erhalten könnten.

Über das antike Zweistromland weiß ich mangels solcher Hilfe fast nichts, doch ein Anathema (https://de.wikipedia.org/wiki/Anathema) wie der biblische Bann (https://de.wikipedia.org/wiki/Bann_(Bibel)) oder in säkularerer Form Acht bzw. Bann (https://de.wikipedia.org/wiki/Bann_(Recht)) erfolgte meines Wissens selten erklärungslos, höchstens vielleicht bei Verbannung als Folge eines Athener Scherbengerichts aufgrund bloßen Mehrheitsentscheids oder heutzutage bei willkürlicher Ausbürgerung Oppositioneller in autoritären Staaten, ohne dass Betroffenen zugleich ein Rechtsmittel und somit die Chance zu einer Erklärung angeboten würde.

Trotzdem neigen Menschen leider seit jeher dazu, missliebige Personen mit oft ziemlich allgemein gehaltenen Begründungen, etwa wegen Verstoßes gegen irgendwelche Nutzungsbedingungen, aus einer sozialen Gemeinschaft auszuschließen, wozu man natürlich auch Software missbrauchen kann. Genau deshalb bestünde mein Ideal in lernfähigen, gemeinwohlwerteorientierten, dialogischen Programmen, die zumindest zu einer gewissen Anzahl in sich logischer, selbstwiderspruchsfreier Interaktionen mit allen Nutzenden gezwungen wären – ähnlich der alten Hoffnung auf dialogische Gottheiten.

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