Zuerst einmal ist die Darstellung des historischen Faschismus in Teilen der Ukraine sehr verdienstvoll. Wenn es darum geht, den Zusammenhang zur heutigen Situation herzustellen, klingt es dann plötzlich anders. Die Ukrainer wüssten gar nicht, was für Menschen das gewesen seien, nach denen inzwischen über 50 prominente Strassen und Plätze benannt sind. Das mag sein, aber gilt das auch für die den ukrainischen Staat repräsentierenden Unbenenner? Soll man wirklich glauben, dass ein relevanter Platz nach einer Person benannt wird, von der man nicht weiss, was sie für eine politische Einstellung hatte? Wohl kaum.
Der russische Präsident Wladimir Putin begründete den Einmarsch seiner Armee damit, die Ukraine „entnazifizieren“ zu wollen. Was halten Sie von dieser Begründung? Grzegorz Rossoliński-Liebe: Die Begründung ist vollkommen falsch. Die Ukraine hat weder eine faschistische Regierung noch bekennen sich die meisten Ukrainer zum Faschismus.
Da muss man Rossoliński-Liebe gleich mehrfach widersprechen. Weder behauptet Putin mit seiner Begründung, die ukrainische Regierung sei eine bekennend faschistische. Das wäre absurd, obwohl es einzelne Regierungsmitglieder mit einem rechtsextremen Hintergrund gibt, noch sagt er damit, die meisten Ukrainer würden sich zum Faschismus bekennen. Es ist eine rhetorische Figur, nicht Behauptetes und auch nicht Gemeintes zu unterstellen und es anschliessend zu widerlegen.
Die ukrainische Regierung war denn zumindest bisher auch nicht Objekt eines direkten Angriffs. Wie sich aus anderen Äusserungen ergibt, hebt Putin mit seinem Schlagwort auf die faschistischen Komponenten der ukrainischen Streitkräfte, namentlich das Asov-Regiment ab, das vor dem Krieg in etwa 50'000 Mann stark gewesen sein soll. Von deren Exponenten gibt es eine Unmenge an Eigenaussagen, die sie eindeutig als Faschisten ausweisen, auch Fotos mit SS-Insignien auf Uniform oder auf Haut in Form eines Tatoos. Dass diese Leute in den ukrainischen Streitkräften und dem Geheimdienst SBU einen grossen Einfluss ausüben, lässt sich nicht abstreiten. Natürlich legitimiert dies nicht einen Bruch des Völkerrechts seitens Russlands, aber zu behaupten, die Begründung sei 'vollkommen falsch', entbehre also jeder faktischen Substanz, ist denn doch mehr als gewagt.
(Disclaimer: Ich vertrete hier nachweislich so sachlich wie möglich meine persönliche Sicht der Dinge und hege keinerlei Absicht irgend jemanden zu trollen, wie mir von der Moderation in ähnlichem Zusammenhang schon unterstellt wurde. Ich rechtfertige auch niemandes Handeln, sondern beabsichtige, einen Beitrag zu einer diskursiven Auseinandersetzung zu leisten.)